18.07.2014 •

ZERTIFIZIERTE ALGORITHMEN-BASIERTE KURSFORMATE IN DER NOTFALLMEDIZINISCHEN AUSBILDUNG VIN MILITÄRISCHEM SANITÄTSPERSONAL

Certfified algorithms-based course formats in emergency medicine training of military medical personnel



Aus der Sanitätsakademie der Bundeswehr, München¹ (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. E. Franke), dem Deutschen Berufsverband Rettungsdienst e.V, Offenbach² (1. Vorsitzender: M. König) und der DBRD Akademie GmbH, Offenbach³ (Geschäftsführer: B. Gliwitzky)



Alexis F.E. Rump¹, Rainer Geppert-Hartmann¹, Marco K. König², ³, Bernhard Gliwitzky², ³, Volker Hartmann¹



WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 6/2014, S. 186-191)

Zusammenfassung



Hintergrund: In der notfallmedizinischen Ausbildung haben sich Algorithmen-basierte Kurssysteme international immer mehr durchgesetzt. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat solche Kurse eingeführt.

Methode: Literaturrecherche (Medline, PubMed)  und Auswertung eigener Erfahrungsberichte.
Ergebnisse: Die Sanitätsakademie der Bundeswehr ist International Training Center der American Heart Association und Pre-Hospital Trauma Life Support (PHTLS) Training Site. Advanced Cardiac Life Support (ACLS) Kurse sind in die Lehrgänge für Sanitätsoffiziere zur Erlangung der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin integriert. Bei PHTLS  Kursen erfolgt die Ausbildung von Ärzten und Rettungsassistenten gemeinsam, so dass die Arbeit im Team, wie sie in der Notfallversorgung erforderlich ist, eingeübt werden kann.
Schlussfolgerung: Neben der Standardisierung der Behandlungsabläufe wird durch diese Kurssysteme mit ihrer einheitlichen und einfachen Fachsprache auch die Kommunikation  bei vorliegenden Sprachbarrieren deutlich erleichtert.
Schlagwörter: Militärmedizin, Notfallmedizin, Ausbildung, ACLS, PHTLS

Summary

Background: In emergency medicine training algorithm-­based course formats are increasingly used. The Bundeswehr Medical Service has introduced such training courses too.
Method: Literature research (Medline, PubMed) and evaluation of own courses.
Results: The Medical Academy of the Bundeswehr has been accredited as an International Training Center of the American Heart Association and a Pre- Hospital Trauma Life Support (PHTLS) training site. Advanced Cardiac Life Support (ACLS) training has been integrated in courses for medical officers to qualify as emergency physicians. Physicians and paramedics attend PHTLS courses together in order to perform team training as needed for optimized emergency care.
Conclusion: In addition to standardization of treatment procedures these courses using a uniform and simple terminology are suited to facilitate communication despite language barriers.
Key words: Military medicine, emergency medicine, training, ACLS, PHTLS

Erfordernisse der notfallmedizinischen ­Ausbildung im Sanitätsdienst

Die Bundeswehr hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer Armee entwickelt, die global im Einsatz ist. Besonders der Einsatz in Afghanistan entspricht dabei einem kriegsähnlichen Zustand. Die Anforderungen an die sanitätsdienstliche Unterstützung haben sich damit grundlegend geändert. Dabei gilt aber weiterhin die Maxime des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, dass jedem Soldaten bei Erkrankung oder Verwundung im Auslandseinsatz eine medizinische Versorgung zuteil werden muss, die im Ergebnis dem fachlichen Standard in Deutschland entspricht. Unabhängig von den besonderen Strukturen der Rettungskette und der sanitätsdienstlichen Einrichtungen im militärischen Einsatzgebiet [1] sowie der Weiterentwicklung der sanitätsdienstlichen Einsatzgrundsätze sind dennoch bis heute die Prinzipien der präklinischen ärztlichen Versorgung im Einsatz unverkennbar vom zivilen Rettungs- und Notarztdienst in Deutschland geprägt. Dies ist auch nur natürlich, da die Militärmedizin allgemein kein eigenes medizinisches Fachgebiet darstellt, sondern nur eine Anwendung medizinischer Kenntnisse und Fähigkeiten unter besonderen militärischen Bedingungen.

Dennoch darf der Einfluss des konfliktuellen Rahmens auf die medizinische Versorgung nicht unterschätzt werden. Dies gilt besonders für die Versorgung in Gefechtssituationen, aber auch für die Versorgung anderer Notfälle außerhalb eines geschützten Lagers durch die allgegenwärtige potenzielle Bedrohung. Abgesehen von der Konfrontation mit im Zivilbereich ungewohnten und teilweise schweren Verletzungsmustern unterliegt das Sanitätspersonal zahlreichen einschränkenden Zwängen, die durch die taktische Lage vorgegeben sind und sich unvermeidlich auf die Behandlungsabläufe auswirken. Die Gefährdung des Rettungsteams und der eigenen Person schafft dabei einen in dieser Intensität ungewohnten  psychischen Druck. Eine professionelle und reibungslose notfallmedizinische Versorgung unter diesen Umständen setzt eine entsprechende Ausbildung voraus, die sowohl medizinische als auch militärische Fähigkeiten umfassen muss.

Moritz von Nassau (1567 - 1625) hatte bereits erkannt, dass sich die Leistungsfähigkeit von Soldaten im Gefecht durch die Einübung von automatisierten Abläufen („Drill“) verbessern lässt. Der Gebrauch der Muskete wurde in 43 Einzelschritte zerlegt und jedem dieser Schritte ein Kommando zugeordnet. Das Eindrillen exakter Bewegungsabläufe lenkt von der Angst ab, der Soldat vergisst den Feind und findet „einen Exerzierplatz selbst auf dem Schlachtfeld“ [2].

Es ist inzwischen anerkannt, dass die intelligente Übertragung dieser Prinzipien und eine Ausbildung mit dem Ziel, durchdachte aber standardisierte Behandlungsabläufe einzuführen, auch in einem zivilen Umfeld geeignet ist, die Versorgungsqualität in der Akutmedizin zu optimieren. Zu diesem Zweck sind Algorithmen-basierte Kurssysteme geschaffen worden (z. B. ACLS, ERC, PHTLS usw.), die sich in den letzten Jahren weltweit immer mehr durchgesetzt haben und als Nachweis eines qualitativ hohen Versorgungsstandards anerkannt sind. Neben der Standardisierung der Behandlungsabläufe bedienen sich diese Kurssysteme einer einheitlichen Fachsprache, die die Kommunikation auf der gleichen sowie auch zwischen verschiedenen Behandlungsebenen deutlich erleichtert. Eine einfache gemeinsame Terminologie ist beim Vorliegen sprachlicher Barrieren, wie sie im Rahmen der inzwischen regelhaft multinationalen militärischen Einsätze oft vorkommen, für einen reibungslosen Behandlungsablauf von entscheidender Bedeutung.

Solche standardisierten Kursformate sind  für die notfallmedizinische Versorgung im militärischen Einsatz von hohem Interesse. Daher werden  entsprechende Kurssysteme in mehreren  NATO-Streitkräften in die Ausbildung des Sanitätspersonals integriert. Auch der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat algorithmenbasierte Kurse auf verschiedenen Ebenen aktiv eingeführt.          

Standardisierte Kursformate

Bei allen Unterschieden weisen international anerkannte und zertifizierte Kurse, die durch ein Markenzeichen geschützt sind, Gemeinsamkeiten auf. Gegenstand dieser Kurse sind Notfälle, mit denen der einzelne Arzt oder Rettungsassistent in der Regel mit einer nur geringen Wahrscheinlichkeit konfrontiert wird. Ziel ist es, für diese Notfallsituationen Handlungssicherheit zu erzeugen. Die Kursdauer ist meist auf zwei Tage beschränkt, das Zeitmanagement dafür aber sehr straff. Eine intensive theoretische Vorbereitung der Kursteilnehmer ist daher unabdingbar. Während der Kurse wird der Fokus auf das Wesentliche gerichtet nach dem allgemeinen Prinzip „Treat first what kills first“, und der Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf dem Einüben von Algorithmen-basierten und Prioritäten-orientierten Untersuchungs- und Behandlungsabläufen. Die Kurse schließen i. d. R. mit einer schriftlichen und praktischen Prüfung ab. Eine Rezertifizierung der sog. „Provider“ ist regelmäßig (in Abhängigkeit der Kursformate alle 3 - 4 Jahre) erforderlich. Für den Veranstalter ist die Durchführung einer dieser international anerkannten Kurse personell, materiell und organisatorisch aufwendig: Zur Wahrung der Einheitlichkeit der Ausbildung dürfen nur in dem Kursformat zertifizierte Instruktoren unterrichten. Es bestehen weiterhin Mindestanforderungen bezüglich des Verhältnisses von Instruktoren zu Kursteilnehmern (z. B. 1 Instruktor für  4 Lehrgangsteilnehmer bei PHTLS Kursen).      

Besonders bekannt sind Kurse zur Vermittlung und zum Nachweis eines Reanimationsstandards. Reanimationsmaßnahmen sollten ohne Verzug nach den geltenden Guidelines erfolgen und ein standardisiertes Training der feststehenden Algorithmen bietet sich zum Einüben an.  Zu nennen sind die Kursformate der American Heart Association (Advanced Cardiac Life Support, ACLS) und die Advanced Life Support (ALS) Kurse des European Resuscitation Council (ERC). Bei ACLS Kursen werden die theoretischen Grundlagen durch Filmmaterial vermittelt, während bei ALS Kursen des ERC das Wissen durch Dozenten vermittelt wird. Die Kurse des ERC sind auch thematisch etwas umfangreicher und für die Durchführenden damit aufwändiger. Den Besonderheiten bei der Reanimation von Kindern wird durch das Angebot von  hierfür spezialisierten Kursen (z. B. Pediatric Advanced Life Support, PALS oder European Pediatric Life Support, EPLS) Rechnung getragen.  

Ein standardisiertes Vorgehen bei der Behandlung von Traumapatienten im Schockraum wird in Advanced Trauma Life Support (ATLS) Kursen vermittelt [3]. Die persönliche Erfahrung offensichtlicher Mängel bei der Versorgung schwerverletzter Patienten hatte einen Orthopäden aus Nebraska veranlasst, ein ähnliches Kursformat wie ACLS für Traumapatienten zu entwickeln. Dabei wurde das Prioritäten-orientierte ABC des Traumapatienten und das Konzept der „Behandlung im Ablauf“ eingeführt. Der erste ATLS Kurs fand 1978 in Auburn (Nebraska) statt und das Konzept hat inzwischen weltweit Verbreitung gefunden. ATLS Kurse stehen ausschließlich Ärzten offen. Ein entsprechender Kurs für nicht-ärztliches Fachpersonal wurde ebenfalls entwickelt (ATCN: Advanced Trauma Care for Nurses).

Als präklinische Variante von ATLS haben sich das  Pre-Hospital Trauma Life Support (PHTLS) und das International Trauma Life Support (ITLS) Konzept etabliert [4, 5] (siehe Tabelle 1). Beide Kursformate stehen sowohl ärztlichem als auch nicht-ärztlichem Rettungsdienst-Fachpersonal offen. Das PHTLS Konzept betont die Bedeutung der Kinematik des Traumas und der initialen Klassifizierung des Patienten als „potenziell kritisch“ oder „potenziell unkritisch“. Es folgt der „Primary Survey“ nach dem ABCDE-Schema, wobei auch Trauma-spezifische Aspekte berücksichtigt werden (z. B. die 4 großen Blutungsräume Thorax, Abdomen, Becken und Oberschenkel). Die abschließende Bewertung des Verletzten als kritisch oder unkritisch bestimmt das Transportziel (Traumazentrum oder Krankenhaus der Grundversorgung). Das PHTLS Konzept betont die Bedeutung eines effizienten Zeitmanagements und einer zügigen Einlieferung in eine adäquate Behandlungseinrichtung, da viele Verletzungsmuster nur chirurgisch versorgt werden können. Dies bedeutet allerdings auf keinen Fall, dass eine notwendige präklinische Versorgung unvollständig bleiben darf, vielmehr muss die erforderliche Behandlung, einschließlich der Anlage des Monitorings, „im Ablauf“ (z. B. parallel in Abhängigkeit der Verfügbarkeit von Helfern, während des Transports) erfolgen.

Eine Innovation stellt der Advanced Medical Life Support (AMLS) Kurs dar, der als internistisches Gegenstück des PHTLS Kurses angesehen werden kann. Die Inhaberschaft der Lizenz liegt für beide Kursformate bei der National Association of Emergency Medical Technicians (NAEMT) und für Deutschland beim Deutschen Berufsverband Rettungsdienst e. V. (DBRD). Das didaktische Konzept ist für PHTLS und AMLS das Gleiche. In Anbetracht der Bedeutung internistischer Krankheitsbilder im Rettungs- und Notarztdienst ist zu erwarten, dass AMLS Kurse künftig einen hohen Zulauf haben werden. 

Der Advanced Hazmat Life Support (AHLS) Kurs behandelt das notfallmedizinische Management bei Expositionen mit gefährlichen Stoffen und Gütern (Chemikalien, biologische und radioaktive Agentien) [6]. Wie auch bei anderen standardisierten Kursformaten wird ein Algorithmen-basiertes und Prioritäten-orientiertes Abarbeiten von Einsatzsituationen durch ärztliches und nicht-ärztliches Personal vermittelt. Der Kurs ist praktisch orientiert und bezweckt keine wissenschaftliche Ausbildung zum Toxikologen. Neben dem AHLS Provider Kurs werden auch Spezialkurse, z. B. zu den verwandten Themenfeldern ABC-Terrorismus und Inhalationstrauma, angeboten (AHLS for Toxic Terrorism, AHLS for Chemical Burns & Toxic Products of Combustion, siehe Tabelle 2). Das Kursformat wurde vom Arizona Emergency Medecine Research Center in Tucson (AEMRC) in Zusammenarbeit mit der American Academy of Clinical Toxicology (AACCT) entwickelt. Als Folge der Anschläge vom 11. September 2001 und der Möglichkeit weiterer Terrorakte unter Verwendung von ABC-Kampfstoffen nahm das Interesse an diesen Kursen in den USA stark zu. In Europa werden bisher nur vereinzelt AHLS Kurse angeboten. Dies könnte neben den Kosten auch durch die besonderen Anforderungen an das Ausbildungspersonal bedingt sein (mindestens ein Toxikologe und ein Arzt, der als AHLS-Instruktor zertifiziert ist).

Erfahrungen mit ACLS- und PHTLS-Kursen an der Sanitätsakademie der Bundeswehr

Die Sanitätsakademie der Bundeswehr (SanAkBw) ist seit 2009 International Training Center der American Heart Association  und führt – mit einer Unterbrechung in 2012, die wegen Neuverhandlung des Training Agreements mit der AHA notwendig wurde – regelmäßig ACLS-Kurse durch. Diese sind in einen 3-wöchigen Lehrgang Notfallmedizin integriert, der im Rahmen der Postuniversitären Modularen Ausbildung von allen Sanitätsoffizieren Arzt durchlaufen wird. Gleichzeitig wird damit ein zertifizierter Reanimationsstandard nachgewiesen, der von den  Landesärztekammern bei der Beantragung der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin gefordert wird.

In Hinblick auf eine optimale Versorgung der Soldaten im Auslandseinsatz wird besonderer Wert auf eine hochwertige traumatologische Ausbildung gelegt. Das PHTLS-Konzept wird in zahlreichen Armeen zur Ausbildung des Sanitätspersonals seit Jahren mit großem Erfolg intensiv genutzt, insbesondere auch im Sanitätsdienst der US-Streitkräfte. Aufgrund der zunehmenden multinationalen Zusammenarbeit im Einsatz und der Bedeutung des Sanitätsdienstes der US-Streitkräfte wurde vom Bundesministerium der Verteidigung entschieden, das Kursformat PHTLS bei der Bundeswehr in die sanitätsdienstliche Ausbildung aufzunehmen. Ziel ist es, eine optimale präklinische Versorgung von Traumapatienten mit Verletzungsmustern wie Schuss- und Explosionsverletzungen, die im zivilen Umfeld selten angetroffen werden, zu gewährleisten. PHTLS Kurse sind Teil des am Bundeswehrkrankenhaus Ulm entwickelten Konzeptes zur Basisausbildung von Notärzten im Sanitätsdienst der Bundeswehr [7].

Nach Durchführung von Pilotlehrgängen und Vertragsverhandlungen mit PHTLS Deutschland und dem DBRD e.V. als Lizenzinhaber wurde die SanAKBw im März 2011 als PHTLS Training Site akkreditiert und ist damit berechtigt, in eigener Zuständigkeit PHTLS Provider Kurse durchzuführen. Dabei werden alle Regularien der NAEMT und von PHTLS Deutschland eingehalten, um die Gleichwertigkeit der Provider Kurse im zivilen Bereich und bei der Bundeswehr sicher zu stellen. Die militärischen Lehrgangsteilnehmer müssen sich den gleichen schriftlichen und praktischen Prüfungen unterziehen, die allgemein auch bei zivilen Kursen vorgesehen sind. Auch die  Auswahl und Ausbildung von zertifizierten Instruktoren erfolgt nach zivilen Kriterien durch Zuteilung eines „Instructor Potential“ an einige wenige Provider und die Zertifizierung als „Full Instructor“ nach erfolgreichem Besuch eines Instruktorenlehrgangs und zufriedenstellender Leistungen als „Instructor Candidate“ (Hilfsinstruktor). Für Bundeswehr-Verhältnisse eher unüblich ist das Freiwilligkeitsprinzip bei der Weiterqualifizierung zum PHTLS Instruktor, wodurch die Motivation der Ausbilder sichergestellt werden soll.

PHTLS Kurse werden an der Sanitätsakademie der Bundeswehr als eigenständige 2-Tages Kurse oder im Rahmen eines einwöchigen „Military PHTLS“ Lehrgangs (Teamtraining taktische Verwundetenversorgung) angeboten. Dieser Lehrgang beinhaltet im Anschluss an einen Original PHTLS Kurs eine Einführung in taktische Verfahren der Verwundetenversorgung durch einen militärischen Führer und ein Skill-Training an tierischen Nebenprodukten, in dem handwerkliche Fähigkeiten zu notfallmedizinischen Techniken eingeübt werden (Anlage von intraossären Zugängen, Thoraxdrainagen, Koniotomie). Im Anschluss werden die vermittelten Kenntnisse und Fähigkeiten auf verschiedenen Stationen eines Notfallparcours unter einsatzähnlichen Bedingungen (Tragen einer Splitterschutzweste, Mitführen einer Waffe zur Selbstverteidigung, usw.) trainiert (Abb. 1).   

PHTLS Provider Kurse stehen wie im zivilen Umfeld sowohl Ärzten als auch Rettungsassistenten offen. Das Kurskonzept  ist bewusst darauf ausgerichtet, ein Teamtraining durchzuführen, entsprechend den realen Verhältnissen bei der Versorgung von Notfallpatienten. Es wird bei der Zuteilung von Lehrgangsplätzen nach Möglichkeit darauf geachtet, ein ausgewogenes Verhältnis von Ärzten und Rettungsassistenten zu gewährleisten. Dies ist in dieser Form ein Novum, da im Sanitätsdienst der Bundeswehr, abgesehen von der spezifischen militärisch orientierten Einsatzvorbereitung und Lehrgängen für AirMedEvac Personal am Flugmedizinischen Institut der Luftwaffe, in der medizinisch-fachlichen Aus- und Fortbildung immer noch eine Trennung von Offizieren und Unteroffizieren besteht. Die enge kollegiale Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Rettungsassistenten, wie sie in der Notfallversorgung erforderlich ist und im Auslandseinsatz in der Regel gelebt wird, muss in der notfallmedizinischen Ausbildung erst noch etabliert werden. Damit leisten PHTLS Provider Kurse auch einen mittelbaren Beitrag zur Weiterentwicklung  des Sanitätsdienstes, indem gedanklich verankerte traditionelle Schranken zwischen Dienstgradgruppen, die unterschiedliche aber gleichermaßen erforderliche Fähigkeiten einbringen, überwunden werden können.  

Tactical Combat Casualty Care

Das Tactical Combat Casualty Care (TCCC oder T3C) ist ein Konzept zur Versorgung von Verletzten im militärischen Einsatz. Es wurde in den 1990er Jahren in den USA für Spezialkräfte entwickelt. Diese führen Operationen in der Tiefe des Raumes durch, ohne dabei immer an eine sanitätsdienstliche Rettungskette angeschlossen zu sein. Damit ergab sich einerseits die Notwendigkeit, Kommandosoldaten (d. h. Kombattanten) medizinisch auszubilden („Combat First Responder“) und ihnen andererseits Verfahrensregeln an die Hand zu geben, wie bei Spezialoperationen medizinisch zu verfahren ist, bis Verletzte zur weiteren Versorgung an Kräfte des Sanitätsdienstes übergeben werden können. Es werden dabei drei Ziele verfolgt, nämlich den Verletzten medizinisch zu versorgen, weitere Opfer zu vermeiden und den militärischen Auftrag erfolgreich zu erfüllen. Das PHTLS Konzept bildet dabei die medizinisch-fachliche Grundlage des TCCC, dem im PHTLS Kursmanual auch ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Weiterhin existiert im Englischen eine militärische Version dieses Manuals. Nach den vorliegenden statistischen Auswertungen überlebt ein Großteil der schwerverwundeten Soldaten im Gefecht nicht [8].  Vermeidbar in der Frühphase nach der Verwundung sind schätzungsweise 10 % der  Todesfälle, hauptsächlich durch Verbluten aus einer Extremitätenwunde, durch Spannungspneumothorax oder Verlegung der oberen Atemwege [9, 10, 11] (Abb. 2). Nach Aufnahme in einer stationären Behandlungseinrichtung stehen im weiteren Verlauf Infektionen und ein Multiorganversagen im Vordergrund [12]. Die medizinischen Maßnahmen, die bei TCCC auf dem Gefechtsfeld im Focus stehen, zielen auf die Behandlung der drei unmittelbar lebensbedrohlichen und vermeidbaren Todesursachen mit einfachen Mitteln. Das Ausmaß der Versorgung von Verletzten hängt zwangslaüfig von der taktischen Lage ab und wird drei Phasen zugeordnet: Care under Fire, Tactical Field Care und Tactical Evacuation Care (Tab.3). Das TCCC Konzept  ist demnach in erster Linie für eigenständig operierende Spezialkräfte gedacht. Die Prinzipien des TCCC werden aber auch darüber hinaus in den ersten Ebenen der Verwundetenversorgung genutzt. 

Der an der Sanitätsakademie der Bundeswehr durchgeführte Lehrgang „Military PHTLS“ ist kein TCCC Lehrgang. Die Eingliederung von beweglichen Arzttrupps in Patrouillen und Konvois sowie Anschläge und Gefechtshandlungen, in die auch das Sanitätspersonal zwangsläufig hineingezogen wird, haben aber dazu geführt, dass einige Prinzipien des TCCC in der Ausbildung von Ärzten und Rettungsassistenten vermittelt werden. Ziel ist es dabei, ein ausreichendes Verständnis für die taktische Lage zu entwickeln, so dass eine möglichst effektive Versorgung der Verletzten ohne vermeidbare Gefährdung der eigenen Person oder der Truppe erzielt wird. Dies ändert nichts am Status des Sanitätspersonals, das nach wie vor zu den Nichtkombattanten gehört. 

Schlussfolgerungen

Das gemeinsame Training von Ärzten und Rettungsassistenten entspricht der Realität im Notarzt- und Rettungsdienst und dem militärischen Grundsatz „train as you fight.“ Durch die internationale Anerkennung und Verbreitung des PHTLS Konzepts werden in den Kursen standardisierte Behandlungsabläufe eingeübt, wie sie auch in den Sanitätsdiensten anderer Streitkräfte gelehrt werden. Die sprachliche Standardisierung trägt weiter dazu bei die Versorgung von Verletzten im multinationalen Rahmen noch effektiver und effizienter zu gestalten. 

Literatur

  1. Rump A: Sanitätsdienstliche Versorgung im Einsatz. In: CPM Forum „Unterstützung und Durchhaltefähigkeit“ 2009: 14-17.
  2. Stephan C: Das Handwerk des Krieges. Berlin: Rowohlt 1998.
  3. Scholz B, Gliwitzky B, Bouillon B, Lackner CK, Hauer T, Wölfl CG: Mit einer Sprache sprechen. Die Bedeutung des Pre-Hospital Trauma Life Support (PHTLS)-Konzeptes in der präklinischen und des Advanced Trauma Life Support (ATLS)-Konzeptes in der klinischen Notfallversorgung schwerverletzter Patienten. Notfall & Rettungsmedizin 2010; 1: 58-64.
  4. National Association of Emergency Medical Technicians (NAEMT). Präklinisches Traumamanagement. Das PHTLS-Konzept. München: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag 2012.
  5. Wölfl CG, Bouillon B, Lackner CK, Wentzensen A, Gliwitzky B, Groß B, Brockmann J, Hauer T: Prehospital Trauma Life Support (PHTLS). Ein interdisziplinäres Ausbildungskonzept für die präklinische Traumaversorgung. Unfallchirurg 2008; 111: 688-694.
  6. Bey T: Advanced HAZMAT Life Support. Notfall & Rettungsmedizin 2002; 5: 218-221.
  7. Helm M, Lührs J, Josse F, Kremers G, Weller N, Lampl L: Konzept zur Basisausbildung von Notärzten im Sanitätsdienst der Bundeswehr. Notfall & Rettungsmedizin 2012; 2: 146-151.
  8. Lechner R, Achatz G, Hauer T, Palm HG, Lieber A, Willy C: Verletzungsmuster und –ursachen in modernen Kriegen. Unfallchirurg 2010; 113: 106-113.
  9. Champion HR, Bellamy RF, Roberts P, Leppaniemi A: A profile of combat injury. J Trauma 2003; 54: 13-19.
  10. Hetz SP: Introduction to military medicine: A brief overview. Surg Clin N Am 2006; 86: 675-688.
  11. Lieber A, Willy C: Chirurgische Verletzungsmuster und –mechanismen.  In: Willy C (Hrsg.): Weltweit im Einsatz – der Sanitätsdienst im Einsatz 2010. Bonn: Beta Verlag & Marketinggesellschaft mbH 2009,  119-132.
  12. Rump A : L´usage préhospitalier d´antibiotiques en milieu militaire. Ann Fr Anesth Réanim 2012; 31 : 232-238.

Bildquelle: Flottillenarzt Priv.-Doz. Dr. Rump

Datum: 18.07.2014

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/6

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