20.09.2012 •

HYGIENE UND INFEKTIONSSCHUTZ IN DEN STREITKRÄFTEN DER EHEMALIGEN DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK

Hygiene and Protection against infection in the Armed Forces of the Former German Democratic Republic

Gert Wagner und Ernst- Jürgen Finke

In dem vorliegenden Übersichtsbeitrag werden ausgewählte Aspekte der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung und des Infektionsschutzes in den Streitkräften der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) unter Garnisons- und Verteidigungsbedingungen dargelegt.

Damit soll ein kleiner Stein in das Mosaik der Geschichte des Medizinischen Dienstes der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR eingefügt werden, deren Aufarbeitung aus der Sicht der Autoren auch 21 Jahre nach der Wiedervereinigung nach wie vor notwendig und noch lange nicht abgeschlossen ist. Ein Anspruch auf Vollständigkeit und Kontinuität kann und soll jedoch im Rahmen des begrenzten Rahmens dieses Beitrages nicht erhoben werden. Schlagworte: Nationale Volksarmee, Grenztruppen, Medizinischer Dienst, hygienisch-antiepidemische Sicherstellung, Infektionsschutz.

Summary

This review presents selected aspects of the hygienic anti-epidemic support in the armed forces of the former German Democratic Republic (GDR). It should serve as a small stone in the mosaic of the history of the Medical Service of the National People`s Army and border troops of the GDR as a first limited contribution to its historical evaluation which is considered by the authors to be unfinished yet even 22 years after the reunification

Die Anfänge

Auf der Grundlage der bereits ab 1946 schrittweise gebildeten Strukturen (Deutsche Verwaltung des Inneren, Hauptabteilung Grenzpolizei/Bereitschaften sowie Hauptverwaltung Ausbildung [HVA] im Bereich des Ministeriums des Inneren) entstand 1952 die Kasernierte Volkspolizei (KVP), aus der am 01.03.1956 die Nationale Volksarmee (NVA) hervorging. Damit wurden in der noch jungen DDR Streitkräfte geschaffen, deren Hauptaufgaben gemäß dem Beschluss der zweiten Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) 1952 die Sicherung des Friedens, des demokratischen Fortschrittes und des sozialistischen Aufbaus gegenüber Aggressionsakten des Westens und die Verteidigung der Grenzen der DDR sein sollten (1).

Die Angehörigen dieser Streitkräfte waren in den Nachkriegsjahren ebenso wie die Bevölkerung der DDR mit einer sehr komplizierten hygienisch-epidemischen Situation konfrontiert, die durch das massenhafte Auftreten von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Typhus abdominalis, Diphtherie, Fleckfieber und Geschlechtskrankheiten gekennzeichnet war. Deren Entstehung und Verbreitung wurden begünstigt durch Hunger, Obdachlosigkeit und mangelhafte Infrastruktur auch im Gesundheitswesen infolge der massiven kriegsbedingten Zerstörungen. Hygienedefizite in Lagern und überbelegten Unterkünften sowie Flüchtlingsströme aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches trugen ebenfalls zu dieser Situation bei.

So traten in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) 1945/46 über 129 700 Typhuserkrankungen auf, wobei allein bei der epidemischen Ausbreitung des Typhus abdominalis in Mecklenburg bis 1946 mehr als 80 000 Erkrankungsfälle registriert wurden (6). An der Organisation der Bekämpfungsmaßnahmen bei dieser Epidemie war der Mikrobiologe und spätere Rektor der Greifswalder Universität, Professor Dr. Georg Tartler (Armeehygieniker im 2. Weltkrieg), maßgeblich beteiligt.

1945/46 erkrankten in der SBZ außerdem circa 149 580 Menschen an Diphtherie, 23 700 an Scharlach, 6 250 an Fleckfieber, 81 620 an Syphilis und circa 193 700 an Gonorrhö. Noch 1949 wurden rund 107 220 Tuberkulosekranke erfasst (2, 4, 5). Das Übergreifen epidemischer Geschehen in den Standorten auf die Truppenteile, Einheiten und Einrichtungen der KVP und späteren NVA zu verhindern und deren Angehörige vor diesen Infektionskrankheiten wirksam zu schützen, war deshalb eine vorrangige gesundheitspolitische Aufgabe. Diese musste anfangs vorrangig von Sanitätern und Feldscheren (militärmedizinische Fachschulkader) sowie von zivilen Vertragsärzten auf der Basis staatlicher und erster militärischer Bestimmungen sowie mit Unterstützung sowjetischer Berater unter schwierigen Bedingungen gelöst werden. Einen besonderen Schwerpunkt bildete dabei auch die konsequente Durchimpfung des Personalbestandes einschließlich des Nachweises der Schutzimpfungen in einem eigens hierfür eingeführten Impfausweis (3). Gemäß der „Ordnung über den Gesundheitsschutz und die Arbeit des medizinischen Dienstes“ von 1965 bestand Impfpflicht bezüglich Tetanus, Virusgrippe, Typhus/Paratyphus und Pocken. Pflichtimpfungen gegen Typhus/ Paratyphus und Pocken wurden 1982 aufgehoben.

Die Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten gehörte somit zu den Hauptschwerpunkten der Tätigkeit des Medizinischen Dienstes bereits in den Anfangsjahren des Aufbaus der KVP und später auch in der NVA.

Der besonderen epidemiologischen Bedeutung der Tuberkulose entsprechend, wurde 1951 in Klietz bei Havelberg das erste Tuberkulosezentrum für die Behandlung von KVP-Angehörigen eröffnet. Ihm folgte ab 1955 mit dem Zentralen Lazarett für Tuberkulose und Lungenkrankheiten der KVP in Dresden- Oberloschwitz (ehemaliges Weidnersches Sanatorium) eine für damalige Bedingungen sehr moderne Behandlungseinrichtung. Dort wurden nach Voigt (7), dem damaligen Leiter dieser Einrichtung, von 1951 bis 1969 insgesamt 12 630 Patienten behandelt und von 1955 bis 1971 über 2 Millionen Schirmbilder ausgewertet. Diese Zahlen sprechen dafür, dass die Tuberkulose auch unter den Angehörigen der KVP und NVA eine große Rolle spielte. 1954 wurden das Zentrale Lazarett der KVP in Bad Saarow, späteres Zentrales Lazarett der NVA und ab 1981 Militärmedizinische Akademie (MMA) und 1955 die Militärmedizinische Sektion (MMS) in Greifswald aufgestellt. Diese Einrichtungen profilierten sich in den Folgejahren auch für die klinische Behandlung von Infektionskranken beziehungsweise für die Lehre und Forschung auf den Gebieten der Militärhygiene, Feldepidemiologie und Militärmikrobiologie.

Organisation der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung unter Garnisonsbedingungen

In der Medizinischen Verwaltung (später: Verwaltung Medizinischer Dienst) im damaligen Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) wurden schon in den ersten Jahren des Bestehens der NVA erste zentrale Dokumente, unter anderem mit Festlegungen zum Infektionsschutz und zur Durchsetzung der Truppenhygiene erarbeitet. Dazu gehörten zum Beispiel das „Handbuch für den Medizinischen Dienst...“ (1956), die „Anordnung des Stellvertreters des Ministers für Nationale Verteidigung und Chef der Rückwärtigen Dienste Nr. 4/56 über die Erfüllung der Aufgaben der Hygiene-Inspektion im Dienstbereich der Ministeriums für Nationale Verteidigung“ (1956) oder der “Befehl des Ministers für Nationale Verteidigung Nr. 18/60 über die Einführung der Vorläufigen Bestimmungen über den Gesundheitsschutz in der Nationalen Volksarmee und die Aufgaben und Organisation der Arbeit des Medizinischen Dienstes“ (1960) sowie militärische Bestimmungen über die Durchführung von Schutzimpfungen gegen Typhus, Paratyphus und Tetanus (1957), gegen Pocken (1962) und gegen Poliomyelitis (1963).

In den Teilstreitkräften der NVA und im Kommando Grenze regelten entsprechende Dokumente die Umsetzung dieser Bestimmungen, so zum Beispiel der „Befehl Nr. 89/57 des Chefs der Seestreitkräfte über die Durchführung der Aufgaben der Hygiene-Inspektion im Bereich der Seestreitkräfte“. In der Folgezeit traten weitere zentrale militärische Dokumente mit Inhalten zur hygienisch- antiepidemischen Sicherstellung unter Garnisonsbedingungen in Kraft. Beispiele hierfür sind die oben erwähnte „Ordnung über den Gesundheitsschutz und die Arbeit des medizinischen Dienstes“ (1965), die „DV 010/0/010 Gesundheitsschutz“ und die „DV 060/0/004 Arbeit des medizinischen Dienstes unter Garnisonsbedingungen“ (1973) sowie Anleitungen und Richtlinien wie die „R 060/8/002 zur Erfassung und Bewertung des hygienischen Zustandes und zur Planung der Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ (1980) (3).

Die Kontrolle der Truppenhygiene und die Gewährleistung des Infektionsschutzes, somit also die Wahrnehmung der Aufgaben der Staatlichen Hygieneinspektion in der NVA, oblagen in den Truppenteilen, Einheiten und Einrichtungen den Leitern des Medizinischen Dienstes. Letztere waren den jeweiligen Stellvertretern der Kommandeure und Leiter für Rückwärtige Dienste unterstellt. Die Bezeichnung “Truppenhygiene” wurde dabei für alle hygienischen Maßnahmen in den militärischen Dienststellen verwendet, während der Begriff “Militärhygiene” das Fachgebiet innerhalb der Militärmedizin insgesamt bezeichnete. Das führte hin und wieder zu Verständigungsschwierigkeiten insbesondere mit Truppenkommandeuren und Offizieren der Verwaltung Inspektion im MfNV.

Hygienische Kontrollschwerpunkte bildeten insbesondere die Verpflegungsund Wasserversorgungseinrichtungen, die Unterkünfte und die sanitären Anlagen in den Garnisonen, in den Feldlagern und auf Truppenübungsplätzen, die Einrichtungen der Militärhandelsorganisation (MHO) sowie die persönliche Hygiene und der jeweils erreichte Impfstand der Armeeangehörigen. Erholungsheime und Kinderferienlager des MfNV, der NVA und der Grenztruppen der DDR wurden ebenfalls in Zuständigkeit des medizinischen Dienstes der jeweiligen Träger im Zusammenwirken mit den zivilen Hygieneorganen der Standorte hygienisch überwacht.

Mit dem 1967 eingeführten „Standard- Kontrollprogramm-Hygiene“ konnte der hygienische Zustand in allen Dienststellen erstmals einheitlich und vergleichbar erfasst werden. Diesem Kontrolldokument entsprachen später in erweiterter Form der „Anhalt zur Erfassung und Bewertung des hygienischen Zustandes“ und die daraus 1980 hervorgegangene oben genannte „Richtlinie 060/8/002“.

Für die Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von militärmedizinisch relevanten Infektionskrankheiten, darunter typische Kriegsseuchen, verfügten die Truppenärzten über ein praxisorientiertes “Tabellarium für Militärärzte über Epidemiologie, Prophylaxe und Bekämpfung von Infektionskrankheiten“ (Abb 1), das 1971 an den Instituten der MMS erarbeitet worden war.

Die Handbuchreihe Militärmedizin schließlich gab den Militärärzten mit den Bänden „Militärhygiene und Feldepidemiologie“ (1987) und “Organisation der medizinischen Betreuung unter Garnisonsbedingungen” (1989) umfassende und praxisrelevante Orientierungen für die hygienisch-antiepidemische Arbeit und den vorbeugenden Gesundheitsschutz in die Hand (Abb 2). Diese Bücher dienten vornehmlich der Aus- und Fortbildung des militärmedizinischen Nachwuchses. Sie fanden im zivilen Bereich und nach 1990 auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr zahlreiche Interessenten.

Darüber hinaus schlugen sich Sachverhalte der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung in den “Schriften der Militärmedizinischen Sektion” und in Publikationen für die „Zeitschrift für Militärmedizin“, im Hochschullehrbuch „Militärmedizin“ (1978), im „Grundriss der Militärmedizin“ (1982) sowie in Publikationen für militärmedizinische Fachschulkader und Sanitäter nieder. Der hygienische Zustand einschließlich des Impfstandes wurde in den Truppenteilen, Einheiten und Einrichtungen anhand der Kontrollergebnisse regelmäßig ausgewertet, an die jeweilige höhere Führungsebene berichtet, schließlich in der Verwaltung Medizinischer Dienst des MfNV analysiert und zusammengefasst dem Stellvertreter des Ministers und Chef der Rückwärtigen Dienste mit Schlussfolgerungen und Vorschlägen zur weiteren Verbesserung der Truppenhygiene gemeldet. Der Chef Medizinischer Dienst im MfNV informierte auf dieser Grundlage quartalsweise die nachgeordneten Chefs/Leiter des Medizinischen Dienstes und der direkt unterstellten Einrichtungen mit sogenannten “Hygieneinformationen” über den aktuellen hygienisch- epidemischen Zustand sowie über spezialfachliche Sachverhalte und neue Regelungen zu einzelnen hygienischen Aufgabengebieten verbunden mit konkreten Weisungen.

Gruppenerkrankungen an Infektionskrankheiten, die nach dem “Seuchengesetz” der DDR meldepflichtig waren,galten als besonderes militärisches Vorkommnis. Sie waren als solches durch die Kommandeure, Chefs und Leiter gemäß der „Melde- und Untersuchungsordnung“ dem Ministerium für Nationale Verteidigung zu melden. In den Garnisonen betrafen diese Geschehen vorwiegend Magen-Darm-Infektionen mit meist nur geringer Fallzahl. Vereinzelte größere Gruppenerkrankungen an bakterieller Ruhr wurden ab Mitte der 70er bis Ende der 80er Jahre in einzelnen Truppenkontingenten der Land- und Luftstreitkräfte insbesondere während oder nach der Ausbildung auf Truppenübungsplätzen der ehemaligen Sowjetunion verzeichnet. Diese Kontingente wurden vor ihrem Einsatz zusätzlich auch gegen Typhus/ Paratyphus und Pest (mit sowjetischem Lebendimpfstoff) geimpft.

Noch im Zeitraum 1981 bis 1988 waren in der NVA und den Grenztruppen der DDR im Durchschnitt 42,5 % aller Erkrankungen mit Dienstausfall durch infektiöse und parasitäre Erkrankungen bedingt. Atemweginfektionen hatten dabei mit durchschnittlich 60 - 70 % den höchsten Anteil, während sonstige Infektionen der Klasse I der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (IKK, 9. Rev.) lediglich zu 5,6 bis 7,3 % beteiligt waren. Hier dominierten vor allem Gonorrhö, Skabies, Dermatophytien und Streptokokkenanginen, während Einzelerkrankungen an Darminfektionen in dieser Statistik keinen Schwerpunkt bildeten (8).

Die weitere Qualifizierung der hygienisch- antiepidemischen Arbeit machte auch die Verbesserung der personellen Voraussetzungen erforderlich. So wurden bei den Chefs und Leitern des Medizinischen Dienstes in den Kommandos und Verbänden der Teilstreitkräfte/ Grenztruppen der DDR die Dienststellung “Oberarzt für Militärhygiene” sowie in den Sanitätsbataillonen der Landstreitkräfte die Dienststellung “Zugführer antiepidemischer Zug (aeZ)” eingerichtet und zunehmend mit Fachärzten für Hygiene besetzt.

In der Verwaltung Medizinischer Dienst des MfNV bestand eine Arbeitsgruppe (später Unterabteilung) Militärhygiene für die Aufgaben der Hygiene, Arbeitshygiene und des Infektionsschutzes. Ab 1982 wurden hier, ausgehend von einer im damaligen Bezirk Rostock im Frühjahr 1982 grassierenden Maulund Klauenseuche-Epizootie, schwerpunktmäßig auch Sachverhalte des Veterinärwesens bearbeitet. Das betraf insbesondere die Analyse der epizootischen Situation in den Territorien, das Zusammenwirken mit entsprechenden staatlichen Stellen bei Tierseuchengeschehen und die Organisation von Maßnahmen für den Infektionsschutz der Armeeangehörigen.

Spezielle Sachverhalte der Militärarbeitshygiene wurden vorwiegend durch Fachleute der MMS bearbeitet. Entsprechende Aufgaben im Bereich des Spezialbauwesens oblagen Arbeitsmedizinern der betreffenden Verwaltung im MfNV. Maßnahmen des Schutzes vor tropischen und subtropischen Erkrankungen realisierte die Untersuchungs- und Impfstelle für Auslandsreisende der Militärmedizinischen Akademie (MMA) in Bad Saarow.

Militärärzte der MMS und der MMA unterstützten darüber hinaus reale Maßnahmen der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung, zum Beispiel bei der mikrobiologischen und epidemiologischen Aufklärung sowie Bekämpfung von infektiösen Darmerkrankungen in den Standorten und auf Truppenübungsplätzen, und nahmen an Inspektionen des MfNV in den Teilstreitkräften, an Truppenübungen und internationalen Manövern teil. Das geschah auch im Interesse der weiteren Verbesserung der praxisrelevanten Ausbildung des militärmedizinischen Personals.

Vorbereitung auf den Verteidigungszustand

Für die Gewährleistung der hygienischantiepidemischen Sicherstellung im Verteidigungszustand wurden Führungs-, Planungs- und Einsatzgrundsätze erarbeitet und in entsprechenden militärischen Bestimmungen niedergelegt. Außerdem wurde die geeignete Feldsanitätstechnik und -ausrüstung zur hygienischen, unspezifischen und spezifischen biologischen Aufklärung (von B-Kampfmitteln) entwickelt, erprobt und in die Truppenpraxis eingeführt. Hierzu gehörten auch mikrobiologische Probennahmesätze (Abb 3), mobile Epidemiologische Feldlaboratorien des Typs EFL-F zur mikrobiologischen Diagnostik im Einsatz (Abb 4, 5, 6) und die mobile Tierhaltungseinrichtung „Vivarium“ (Abb 7-8). Letztere sollte die EFL-F mit Versuchstieren zur biologischen Anreicherung von Krankheitserregern und Toxinen im Rahmen der Diagnostik versorgen. Letztere erfolgte nach einem im Rahmen des Warschauer Pakts abgestimmten diagnostischen Standardverfahren, dem „verkürzten“ und „erweiterten“ Untersuchungsschema (Abb 9), das am Institut für Feldepidemiologie und Militärmikrobiologie an der MMS unter stationären und feldmäßigen Bedingungen evaluiert worden war.

Das zur Bedienung der EFL-F und Durchführung der Diagnostik erforderliche Sanitätspersonal (Fachärzte für Mikrobiologie, Medizin- und Veterinärtechnische Laborassistenten) wurde an der MMS unter anderem in EFL-Kursen und Übungen auf den Einsatz in den antiepidemischen Einheiten (antiepidemischer Zug, antiepidemische Abteilung/ Kompanie) vorbereitet.

Während die antiepidemischen Züge der Sanitätsbataillone der Landstreitkräfte bereits unter Garnisonsbedingungen in verkürztem Bestand arbeitsfähig waren, sollten die antiepidemischen Abteilungen/Kompanien der Militärbezirke erst im Mobilmachungsfall aufgestellt werden. Hierfür waren die entsprechende Technik und Ausrüstung an bestimmten Standorten bereits eingelagert und der Personalbestand, (Ärzte, Schwestern, Laboranten, Kraftfahrer) aus zivilen Einrichtungen als Reservisten sowie aktive Militärärzte der MMS als Kommandeure, eingeplant.

Militärmedizinische Lehre und Ausbildung

Um dem anfänglichen erheblichen Mangel an nicht nur allgemein-fachlich, sondern auch militärisch und militärmedizinisch qualifizierten Ärzten in der NVA zu begegnen, begann am 01.06.1955 in Greifswald an der Militärmedizinischen Sektion (MMS) die Ausbildung von Militärärzten in engem Zusammenwirken mit den Kliniken und Instituten der medizinischen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. An der MMS wurde am 01.12.1961 das Zentralinstitut für Militärmedizin gebildet, das auch Lehrstühle für Militärhygiene und Feldepidemiologie umfasste. Daraus gingen später das Institut für Militärhygiene (IMH) und das Institut für Feldepidemiologie und Militärmikrobiologie (IFM) hervor. Diese Institute zeichneten für die Koordinierung und partielle Durchführung der Ausbildung von Militärärzten zum Facharzt für Hygiene beziehungsweise für Mikrobiologie nach den entsprechenden staatlichen Ausbildungsprogrammen einschließlich der Zulassung und Durchführung der Facharztprüfungen vor den jeweiligen staatlichen Prüfungskommissionen verantwortlich. Vertreter dieser Institute waren zugleich Mitglieder in diesen Kommissionen.

Am 15.01.1964 wurde die MMS strukturell an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald angegliedert und an dieser 1970 die Fakultät für Militärmedizin etabliert. Diese Maßnahmen fanden Zustimmung bei zahlreichen leitenden Vertretern der Medizinischen Fakultät, die der Ausbildung und Forschung an der MMS ihre Unterstützung zusagten (9). Andererseits waren Militärärzte der MMS zeitweilig an Kliniken/ Instituten der Universität tätig oder führten Lehraufgaben an anderen Einrichtungen, zum Beispiel an der Akademie für Ärztliche Fortbildung der DDR, durch.

Während ihres regulären Medizinstudiums an der Greifswalder Universität erwarben die künftigen Militärärzte an der MMS, unter anderem auch spezielle Kenntnisse in der Militärhygiene, der Feldepidemiologie und Mikrobiologie, die später in verschiedenen Weiterbildungskursen an der MMS oder an der MMA vertieft werden konnten. Dazu wurden an den Lehrstühlen des IMH und des IFM spezielle Lehrprogramme und -unterlagen geschaffen, die auf die Anforderungen der sanitätsdienstlichen Versorgung im Frieden und Verteidigungsfall ausgerichtet waren. Das vermittelte militärmedizinische Wissen wurde im Rahmen der jeweiligen Staatsexamina an der MMS geprüft.

Ab 1978 erfolgte die Hochschulausbildung der Offiziershörer/Offiziersschüler in den Studienfächern Allgemeine und Kommunale Hygiene, Arbeitshygiene und Mikrobiologie generell durch die Fachinstitute der MMS. Zugleich erhielten die „Militärstudenten“ eine fundierte gesellschaftswissenschaftliche Ausbildung. Schließlich erwartete man von den künftigen Militärärzten einen „festen Klassenstandpunkt“ und unbedingte Treue zur „Partei der Arbeiterklasse“, der SED. Wiederholt wurde ihnen dabei die unabdingbare Einheit ihrer Doppelfunktion als Offizier und damit Führer militärischer Kollektive und Arzt aufgezeigt – eine für manchen Studierenden in Uniform nicht ganz einfache Symbiose und vereinzelt auch Anlass für ein vorzeitiges Ausscheiden aus der militärmedizinischen Ausbildung.

Ab 1964 wurden an der MMS Ärzte des staatlichen Gesundheitswesens für einen zweijährigen Truppendienst vorbereitet oder als Reservisten militärmedizinisch und spezialfachlich, unter anderem zum Leiter des epidemiologischen Feldlabors, weitergebildet. Darüber hinaus erfolgten hier ab 1979 die Ausbildung von ausländischen Militärkadern aus der Volksrepublik Vietnam und ab 1982 aus der Jemenitischen Arabischen Republik zu Militärärzten oder Fachärzten (9) und Doktorandenbetreuung.

In den 80er Jahren wurde zusätzlich zur militärmedizinischen Hochschulausbildung an der MMS die Fachschulausbildung von Fähnrichen des medizinischen Dienstes, darunter auch zahlreiche weibliche Armeeangehörige, durchgeführt.

In diesen Ausbildungsgängen wurden ebenfalls notwendige Kenntnisse und Fertigkeiten in der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung vermittelt.

Zivil-militärische Zusammenarbeit und Zusammenwirken mit der GSSD

Unter Garnisonsbedingungen waren, wie bereits erwähnt, die jeweiligen Leiter des medizinischen Dienstes in den Truppenteilen, Einheiten und Einrichtungen für die Organisation, Kontrolle und Anleitung der hygienisch-antiepidemischen Maßnahmen auf der Grundlage der militärischen Bestimmungen und der Rechtsvorschriften der DDR zuständig.

Dazu arbeiteten sie eng mit den örtlichen Organen der Staatlichen Hygieneinspektion und den Bezirkshygiene - instituten zusammen. Letztere führten in der Regel bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten auch die notwendigen Laboruntersuchungen, zum Beispiel von Trinkwasser und Lebensmitteln oder klinischen Proben, für die NVA und die Grenztruppen der DDR durch.

In besonderen Fällen, so bei größeren Gruppenerkrankungen an Darminfektionen, unterstützten das IFM der MMS und das Institut für klinische Mikrobiologie (IKM) der Militärmedizinischen Akademie Bad Saarow die antiepidemischen Maßnahmen. Dabei führten Fachärzte des IFM epidemiologische Herd- und Kontrolluntersuchungen durch und gewannen Proben, die bei Notwendigkeit entweder sofort am Ort im epidemiologischen Feldlabor oder im Institut untersucht wurden. Das IKM war dagegen vorwiegend für die mikrobiologische Diagnostik bei stationär aufgenommenen Patienten zuständig. Wichtige Grundlage für das Zusammenwirken mit den zivilen Hygieneorganen war eine 1976 zwischen den Ministerien für Nationale Verteidigung und für Gesundheitswesen abgeschlossene Vereinbarung. Sie regelte die Zusammenarbeit bei der hygienisch-epidemiologischen Aufklärung und Organisation hygienischer und antiepidemischer Maßnahmen in den Standorten (3).

Mitarbeiter der Verwaltung Medizinischer Dienst des MfNV und Fachvertreter der MMS nahmen regelmäßig an Beratungen der Zentralen Kommission zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Ministerium für Gesundheitswesen (MfGe) und an Arbeitstagungen des Haupthygienikers des MfGe mit den Bezirkshygienikern und Direktoren der Hygieneinstitute der Bezirke sowie mit den entsprechenden Fachvertretern der Ministerien der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR teil.

Das Zusammenwirken erstreckte sich in den einzelnen Führungsebenen teilweise auch auf die jeweiligen Strukturen des medizinischen Dienstes der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (GSSD). Anfänglich betraf das die alltägliche Arbeit unter Garnisonsbedingungen, später aber vor allem die Vorbereitung auf den Verteidigungszustand. Das beinhaltete ebenso den Erfahrungsaustausch und die gemeinsame Durchführung von Übungen. Erkenntnisse und Erfahrungen der sowjetischen Militärmedizin bildeten generell die Basis und Doktrin für die Arbeit des Medizinischen Dienstes der NVA. Zahlreiche Militärärzte der NVA erhielten an der Militärmedizinischen Akademie „S. M. Kirow“ in Leningrad (heute: St. Petersburg) eine postgraduale Weiterbildung, um sie für die Übernahme leitender Dienststellungen im Medizinischen Dienst – auch auf dem Gebiet der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung – zu befähigen.

Militärmedizinische Forschung und Entwicklung

Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung wurden, zum Teil im Zusammenwirken mit der Militärmedizinischen Akademie Bad Saarow, hauptsächlich durch das IMH und IFM an der Militärmedizinischen Sektion in Greifswald bearbeitet. 1988 wurden diese beiden Institute – gegen den Widerstand der Fachvertreter des Lehrstuhls für Militärmikrobiologie – zum Institut für hygienisch-antiepidemische Sicherstellung (IHAS) fusioniert. Letzteres übernahm bis zur Auflösung der MMS den Forschungs- und Lehrauftrag. Die wissenschaftlichen Projekte basierten auf den Vorgaben der Koordinierungstagungen des Warschauer Pakts, des MfNV und des Staatsplans des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR oder spiegelten den dienststelleneigenen Forschungsbedarf wider.

Schwerpunkte waren hierbei unter anderem die Entwicklung und Erprobung von Methoden und materiell-technischen Voraussetzungen für die Kontrolle der Verpflegungs- und Wasserversorgung, für die hygienische und mikrobiologische Diagnostik und epidemiologische Aufklärung und Prävention einsatzmedizinisch relevanter Infektionskrankheiten sowie zum biologischen Schutz. Hinzu kamen spezielle hygienische und arbeitsmedizinische Sachverhalte im Zusammenhang mit dem Einsatz neuer Feldsanitätstechnik und Ausrüstung.

Planungs-, Führungs- und Organisationsprinzipien für Maßnahmen der hygienisch- antiepidemischen Sicherstellung unter Garnisonsbedingungen und im Verteidigungszustand ständig zu vervollkommnen, hatte ebenfalls einen besonderen Stellenwert innerhalb dieser Aufgaben.

Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeit flossen unter anderem in militärische Bestimmungen, Ausbildungsmaterialien, in Technik und materielle Mittel zur feldmäßigen Probennahme und mikrobiologischen Diagnostik (siehe oben) oder Wasseraufbereitung (zum Beispiel durch Umkehrosmose) sowie zur Desinfektion und Lebensmitteluntersuchung mittels mobiler Feldlaborsätze ein. Sie fanden ihren Niederschlag auch in zahlreichen Diplomarbeiten, Dissertationen, wissenschaftlichen Studien und Fachpublikationen. Nähere Ausführungen zu den Forschungs- und Entwicklungsaufgaben des IFM finden sich bei Finke (10).

Bei vielen dieser Projekte erfolgte eine intensive Zusammenarbeit mit Einrichtungen des staatlichen Gesundheitswesens der DDR, zum Beispiel mit Fachinstituten der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, mit dem Institut für Angewandte Virologie in Berlin oder mit der Charité in Berlin sowie mit Partnerinstituten der Medizinischen Dienste der Armeen des Warschauer Pakts. Hier sind auch die oben genannten Koordinierungstagungen und Beratungen „Zeitweiliger Spezialistengruppen“, unter anderem zu Zoonosen und Schutzimpfungen oder zur spezifischen biologischen Aufklärung und Entwicklung mobiler Feldsanitätstechnik, zu erwähnen.

Nachbemerkungen

Die hier ausgewählten Grundsätze, Organisationsprinzipien und Maßnahmen der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung in der NVA und den Grenztruppen der DDR sollten den Schwerpunktcharakter, die Vielfalt und die Komplexität dieser Aufgaben innerhalb der Gesamttätigkeit des medizinischen Dienstes der NVA/der Grenztruppen der DDR aufzeigen, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Mit den geschilderten und weiteren Maßnahmen konnten unter Garnisonsbedingungen in den Dienststellen zunehmend effektiver ein stabiler hygienischer Zustand gesichert, der Personalbestand vor Infektionskrankheiten weitgehend geschützt, Krankheitsausbrüche wirksam bekämpft und notwendige Voraussetzungen für die hygienisch-antiepidemische Sicherstellung im Verteidigungszustand geschaffen werden.

Fachliche Ansichten, Organisationsund Führungsprinzipien wurden dabei allerdings stets von der Lehrmeinung der sowjetischen Militärmedizin bestimmt. Beschlüsse und Strategien der SED für die medizinische Betreuung und den Gesundheitsschutz der DDRBevölkerung mussten in der Arbeit des medizinischen Dienstes der NVA/Grenztruppen der DDR unter ständiger Einflussnahme der Politorgane und Parteileitungen umfassend umgesetzt werden. Die Chefs/Leiter des Medizinischen Dienstes waren auf allen Führungsebenen den jeweiligen Stellvertretern der Kommandeure, Chefs und Leiter für Rückwärtige Dienste unterstellt. Das alles komplizierte oftmals eine unabhängige, eigenständige fachliche Tätigkeit des Medizinischen Dienstes, auch bei der hygienisch-antiepidemischen Sicherstellung.

Dieser Beitrag ist Oberst a. D. Prof. Dr. sc. med. Joseph Loscher, von 1976 bis 1988 Direktor des Instituts für Militärhygiene an der Militärmedizinischen Sektion Greifswald, in memoriam gewidmet.

Literatur

  1. Dokumente der SED, Band IV, Berlin 1954.
  2. Fischer E, Roland L, Tutzke D: Für das Wohl des Menschen, Band I. Verlag Volk und Wissen, Berlin 1979 
  3. Nürnberger K, Wagner G: Zur Entwicklung der antiepidemischen Sicherstellung in deutschen Armeen - ein Beitrag zur Geschichte der Militärmedizin. Diss. B., Militärmedizinische Akademie Bad Saarow, 1987
  4. Seidel K (Hrsg.): Im Dienst des Menschen. Erinnerungen an den Aufbau des neuen Gesundheitswesens 1945 – 1949. Dietz, Berlin 1985.
  5. Winter K: Das Gesundheitswesen in der DDR. Eine Bilanz zum 25. Jahrestag der Staatsgründung. Verlag Volk und Gesundheit, Berlin 1974.
  6. Raettig H: Typhusimmunität und Schutzimpfung. Eine immunbiologische Studie nach den epidemiologischen Erfahrungen während der Typhus-Pandemie 1945/46 im Lande Mecklenburg. Fischer Jena 1952.
  7. Voigt H: 20 Jahre Tuberkulosebekämpfung in der Kasernierten Volkspolizei und in der Nationalen Volksarmee. Z Mil Med 1971; 12(5): 296-297.
  8. Wagner G, Kulicke B: Zur Infektionsmorbidität in der NVA und den Grenztruppen der DDR 1981 – 1988. Z Mil med 1990; 31( 4): 170- 172.
  9. Enderlein D, Hollenbach K, Stremmel D: Reminiszenzen – 35 Jahre militärmedizinische Ausbildung und Forschung der Militärmedizinischen Sektion “Maxim Zetkin” an der Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald. Z Mil Med 1990; 31(4): 147- 156.
  10. Finke EJ: Zur Forschungsarbeit am Institut für Feldepidemiologie und Mikrobiologie der Militärmedizinischen Sektion an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. In: Beiträge zur Wehrmedizin und Wehrpharmazie, Band 17. Der Medizinische Dienst der NVA - Teil I. In: FJ Lemmens, WG Locher (Hrsg.): Elbe-Dnjepr-Verlag, 2006; 191-196. 
  11. Finke EJ, Herzog H: Das epidemiologische Feldlabor des Medizinischen Dienstes der ehemaligen NVA-Aufbau, Verwendung und Erfahrungen im Einsatz 1. Mitteilung. Wehrmed Mschr 1992; 46(10): 441-446.

 

Datum: 20.09.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/7

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