18.09.2012 •

    WELCOME TO THE JUNGLE

    Die Rolle des Staates hat im Laufe der letzten 20 Jahre abgenommen!“ Diesen Satz haben wir so oder ähnlich in den letzten Jahren oft gehört. Die Einschränkung, die die Rolle des Staates erfährt, gleicht einem Kahlschlag im internationalen System.

    Wir realisieren: Es geht auch ohne den Staat. Und geht es ohne den Staat, geht es vor allem mit dem „Nicht- Staat“.

    Wie im Urwald bildete sich eine vielfältige Vegetation von Nichtregierungsorganisationen. Dieser nichtstaatliche Sektor nutzte die abnehmende Bedeutung der Rolle des Staates, um eine – auf den ersten Blick – begrüßenswerte Vielfalt hervorzubringen. Auf den zweiten Blick wirkt diese jedoch verwirrend.

    Derzeit ist das internationale System durch etwa 200 Staaten gekennzeichnet. Relativ geordnet und übersichtlich begegnen sich die meisten von ihnen in großen internationalen Organisationen oder regionalen Bündnissen. Jenseits davon wuchert ein Dschungel: Knapp 16.000 internationale und nationale Nichtregierungsorganisationen (auch: Non Governmental Organisation, NGO).

    Orientierung tut Not!

    Dieser Artikel ist ein Versuch, mit einem groben Raster zur Analyse ein wenig Ordnung in den nichtstaatlichen Wildwuchs zu bringen. Kern des Artikels bildet die Frage nach Wesen und Gestalt von NGOs. Unterschwellig werden aber auch Probleme thematisiert, die den Prinzipien und Konzepten von staatlicher und nichtstaatlicher Aktivität im internationalen System innewohnen.

    A Beginner’s Guide to Nonestatehood...

    Was macht also eine Nichtregierungsorganisation aus? „Nichtstaat“ oder „nichtstaatlich“ ist als einziges Unterscheidungskriterium eine zu grobe Klassifizierung. Angesichts der oben erwähnten Anzahl von NGOs hilft das nicht richtig weiter.

    Allerdings wird selbst dieser erste Schritt in Richtung Übersichtlichkeit gerne ausgelassen. Es sei also an dieser Stelle auf die Wichtigkeit hingewiesen, im Umgang mit NGOs die Frage „Staat oder Nicht-Staat“ gleich zu Beginn zu klären. Besonders in Auslandseinsätzen begegnet man vielen, inländischen wie internationalen, regierungsamtlichen Akteuren, die NGOs in Funktion, Form und Arbeitsweise ähneln und deshalb gerne verwechselt werden. Zwei deutsche Beispiele sind die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als staatseigene Organisation für die Entwicklungszusammenarbeit oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW-Bankengruppe) unter Rechtsaufsicht des Finanzministeriums. Diese Organisationen sind keine NGOs und „funktionieren“ nach anderen Gesetzmäßigkeiten. Ein zweiter Schritt in Richtung mehr Übersichtlichkeit: Nichtstaatliche Akteure lassen sich nach einer räumlichen, einer funktionalen und einer organisatorischen Dimension abgrenzen.

    Vom weltweiten Dachverband bis zum Dorfpfarrer - Raumdimension

    Die Bezeichnung „Nichtregierungsorganisation“ ist ein Sammelbegriff der Vereinten Nationen für Interessenverbände, die als Akteure im internationalen System neben den Staaten agieren. Grundlegendes Unterscheidungsmerkmal ist der Aktionsradius: International, regional oder national.

    Ganz allgemein gilt: die Internationalisierung einer Organisation erhöht naturgemäß ihre Komplexität. Entsprechend lassen sich internationale NGOs (oder auch INGOs) in der Regel an objektiven Kennzeichen identifizieren. Sie weisen also nicht nur eine höhere Organisationskomplexität auf, sondern beteiligen in der Regel mehrere Parteien bei der Entscheidungsfindung, ihre Kommunikationsintensität und – aktivität ist höher und Informationen fließen (auch geographisch) weiter.

    Dabei nimmt die Identifikation mit der „Region“ ab, denn die Aktivität im globalen Raum wirkt identitätsstiftend und zielgebend. Das spiegelt auch eine multinationale Besetzung von Führungspositionen, analog zu einer „globalen Mitgliederschaft“. Es spielt beispielsweise eine untergeordnete Rolle, in welchem Land Sie Amnesty International (AI) beitreten, die Organisation selbst setzt sich weltweit für die Wahrung der Menschenrechte ein.

    Der Finanzrahmen solcher Organisationen ist global gesteckt, streckenweise sind hohe Budgets im Umlauf. So weist der Jahresbericht von AI beispielsweise über 30 Millionen Dollar als Haushaltsmittel für 2010 aus. OXFAM- International, ein Verbund aus 15 nationalen Organisationen mit dem Schwerpunkt Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit liegt sogar bei etwas über 160 Millionen Dollar. NGOs, die eine solche Größe erreichen, sind meistens Dachorganisationen oder Verbände mehrerer nationaler Initiativen (Medicus Mundi International, Föderation der Rotkreuz und Rothalbmondgesellschaften usw.). Als solche weisen sie jeweils auch nationale Ableger aus.

    Diese größten Vertreter des nichtstaatlichen Sektors erfüllen im Wesentlichen zwei Aufgaben. Erstens, als weltweit vernetzte Akteure sind sie am ehesten in der Lage, staatliches Handeln einzuschränken (beispielsweise durch Überwachungsfunktionen). Zweitens vollziehen solche großen Organisationen wichtige Handlungen an Stelle des Staates, der vielleicht nicht handlungsfähig oder –willig ist. Im Bereich der Katastrophenhilfe oder in politisch heiklen Krisengebieten wird das am deutlichsten.

    Rein nationale Organisationen reichen von regionalen Initiativen bis hin zur lokalen Selbsthilfegruppe und Initiativen einzelner Individuen. Wichtigste Orientierungshilfe ist hierbei: Wo ist der Akteur ansässig und wer sind seine Mitglieder? Nationale Ausformungen von INGOs sind demnach nicht gemeint!

    Nationale Interessengruppen – zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger – bearbeiten grundsätzlich auch spezifisch nationale oder (maximal) regionale Probleme. Zu deren Lösung finanzieren sie sich lokal und ihre Mitglieder stammen aus der entsprechenden Region. Ausnahmen bilden solche Organisationen, die ihren Sitz ausschließlich in einem Land haben, aber sich weltweit engagieren (bspw. Brot für die Welt).

    Eine weitere Ausnahme stellen lokale Akteure – meistens engagierte Individuen – dar, die sich selber eine globale Agenda setzen. Dieses Phänomen ist relativ neu. Katalysiert durch die informationellen und logistischen Möglichkeiten einer globalisierten Welt entwickeln immer mehr Einzelinitiativen lokalen Ursprungs eine globale Reichweite. Als ein Beispiel sei hier der Allgemeinmediziner genannt, der in Afghanistan aus eigenen Mitteln ein Krankenhaus errichtet. Die Bezeichnung „My own – NGO“ (MO-NGOs) etabliert sich zusehends dafür.

    Gegen engagierte, fähige Individuen, die in Krisengebieten Hilfe leisten, ist zunächst nichts einzuwenden. Diese MO-NGOs sind unproblematisch, solange sie ein Mindestmaß an Professionalität vorweisen können, beziehungsweise sie sich in bestehende, halbwegs koordinierte Strukturen einbinden lassen. Inkompetenz, Unwissenheit oder gar schiere Ignoranz der Akteure ist aber als Begleiterscheinung weiter verbreitet als man glaubt. Im Detail äußert sich beispielsweise die niederländische Autorin Linda Polman dazu (Die Mitleidsindustrie). Kritisch wird es, wenn sich gar religiöser Eifer der Handelnden mit ihrer Inkompetenz verbindet. Die „Do-it-Yourself- Hilfe“ gerät zur Farce: Heiligt im Hilfswahn der Zweck die Mittel, dann sind die Folgen dieses unreflektierten Handelns nicht absehbar.

    Aus der Mitte der Zivilgesellschaft – Funktionale Dimension 

    Leitgedanke einer Analyse der funktionalen Dimension von NGOs ist der folgende: Nichtregierungsakteure erheben sich aus der Mitte der Zivilgesellschaft („Civil Society“). Das tun sie, indem sie unabhängig von staatlichen Institutionen Handlungsräume erschließen. Dabei leitet sich ihr funktionales Selbstverständnis aus einer bestimmten Vorstellung des Gemeinwohls ab (Gemmill/Bamidele- Izu, 2002).

    Dieses Engagement für das Wohl der Gemeinschaft kann naturgemäß zunächst einmal alles beinhalten: Vom informellen Nachbarschaftstreffen über den Rotary Club zum Deutschen Roten Kreuz und Médecins sans Frontières. Eine Einordnung der funktionalen Aspekte muss also bereits hier ansetzen. Sie ist getragen von drei Überlegungen.

    Erstens: Als NGO im Sinne der vorliegenden Betrachtung lassen sich nichtstaatliche Organisationen fassen, die organisatorisch und finanziell vom Staat abgekoppelt sind. Damit sind sie – und das ist essentiell – idealtypisch vollkommen unabhängig von staatlichem Einfluss auf ihr Handeln.

    Das schließt internationale Organisationen als Ausformung von Staatenbündnissen, wie den Vereinten Nationen oder der Europäischen Union, aus. Zwar verästeln sich von diesen Organisationen auch Untergruppierungen (bspw. das UNHCR, UNICEF etc.), die teilweise autonom agieren und große (funktionale und organisatorische) Ähnlichkeit mit NGOs haben. Trotzdem ist es wichtig zu begreifen, dass Internationale Organisationen Instrumente zur Durchsetzung staatlicher Interessen sind. Das steht im Widerspruch zum zentralen Wesensmerkmal einer Nichtregierungsorganisation. Deren Selbstverständnis ihrer Funktionsweise ist es ja eben, unabhängig handeln zu können. Und das besonders in Gebieten, wo der Staat eben nicht handeln kann oder will.

    Zweitens ist es hilfreich, bei der Betrachtung von Nichtregierungsorganisationen ein Mindestmaß an organisatorischer Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit vorauszusetzen. Auf diese Weise lassen sich „ad hoc-Akteure“ wie beispielsweise Protestbewegungen herausfiltern. Solche nichtstaatlichen Bewegungen können zwar staatliches Handeln beeinflussen, wie das beispielsweise „Stuttgart 21“ gelungen ist. Um ernsthaft mit dem Staat um die Schaffung von Gemeinwohl zu konkurrieren, sind sie aber in der Regel zu kurzfristig angelegt und ihre Wirkungsweise ist zu begrenzt. Es sei denn, sie stellen quasi einen Keimling dar: Aus spontanen Massenprotesten gegen einzelne staatliche Handlungen entwickeln sich entlang der Zeitachse NGOs. Beispiele gibt es einige: So ging ATTAC aus der Bewegung der Globalisierungsgegner, Greenpeace aus den Protesten gegen Atomtests hervor. Aktuellstes Beispiel für einen solchen Prozess dürfte „OCCUPY“ sein, die Bewegung der Finanzmarktgegner.

    Drittens ist die Auffassung von dem, was eigentlich das Gemeinwohl ist, wichtiges funktionales Alleinstellungsmerkmal von NGOs. Gemeinwohl wird im NGO Sektor – überwiegend – vollkommen anders aufgefasst als aus staatlicher Sicht.

    Das ist im Rahmen einer Betrachtung von NGOs zentral! Aus staatlicher Perspektive geht das Gemeinwohl Hand in Hand mit der Gewährleistung von Sicherheit. Es findet meistens ein Sicherheitsbegriff Verwendung, der den Staat als Referenzobjekt anführt. In den Politikwissenschaften wird eine solche Definition als „realistisch“ bezeichnet. Diese Auffassung von Sicherheit ist zudem „erweitert“, das heißt, Art und Quelle der Bedrohung wird in einer Vielzahl von politischen, ökonomischen, ökologischen und auch militärischen Entwicklungen gesehen.

    Diese Geisteshaltung versieht staatliches Handeln in Krisengebieten mit einer normativen Aufladung und kann sehr selbstbezogen sein. Die Gefahr dabei: Das Handeln des Sicherheit schaffenden Staates vernachlässigt die Reflexion des eigenen Einflusses auf die Verursachung oder Verschlimmerung von Krisen. Gleichermaßen droht ein Prozess der „Versicherheitlichung“. Dabei werden einerseits nur die sicherheitsrelevanten Aspekte von humanitären Problemen fokussiert. Diese eindimensionale Sichtweise verführt dazu, nur den Piraten sehen zu wollen, nicht den Fischer, dem hochindustrialisierte Fangflotten die Lebensgrundlage genommen haben. Andererseits lauert die Gefahr, dass sämtliche Maßnahmen – vor allem zivile „Soft-Power“- Ansätze von NGOs – unter das Sicherheitsparadigma gezwungen und den dort handelnden Akteuren untergeordnet werden.

    Im Gegensatz dazu bringen nichtstaatliche Akteure einen anderen normativen Referenzrahmen mit. Nicht der Staat und seine Sicherheit stehen im Mittelpunkt, sondern ganz zentral die „humanitäre oder menschliche Sicherheit“ des Individuums ist Voraussetzung für die Schaffung von Gemeinwohl. Dieser Sicherheitsbegriff hat eine weite Definition, die alle lebensrelevanten Aspekte (Ökonomie, Umwelt, Gesellschaft) mit einbezieht. Er kann aber auch eng aufgefasst werden, dann stellt er lediglich auf die Abwesenheit von Gewalt ab (Jaberg, 2009).

    Das alles verursacht erhebliche Friktionen bei der Kommunikation, Koordination und Kooperation zwischen NGOs und dem Staat. Aus dem Aufeinandertreffen der normativ aufgeladenen Sicherheitsbegriffe resultiert ein Dilemma. Diejenigen, die die Begriffshoheit beanspruchen, wollen in der Regel auch führen. Die andere Partei, nicht willens, ihren normativ aufgeladenen Begriff anzupassen, fühlt sich vereinnahmt. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist das Verständnis der normativen Prägung der jeweils „anderen“ Seite Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Erst dadurch wird die Identifikation von inhaltlichen Schnittmengen und das Ausloten von Kooperationsmöglichkeiten möglich.

    It’s the Network, Stupid! – Organisatorische Dimension 

    Ein weiteres, grundlegendes Unterscheidungsmerkmal von Staat und Nichtregierungsorganisation ist ihre unterschiedliche Organisationsstruktur. Staatliches Handeln ist stark gekennzeichnet vom Organisationsprinzip der Hierarchie. Nichtregierungsorganisationen hingegen operieren mit wesentlich flacheren Strukturen. Sie ähneln eher Netzwerken als Hierarchien, oftmals finden sich aber kollaborative Hybridstrukturen. Im Vergleich zu staatlichen Organisationen haben NGOs dadurch eine Reihe an Vorteilen, aber auch zentrale Nachteile.

    Vorteilhaft ist, dass Nichtregierungsorganisationen in der Regel viele Entscheidungen dezentral treffen (können). Im Gegensatz zu staatlichen Hierarchien gibt es so gut wie nie einen „zentralen Entscheider“ (i.S.v. „Unity of Command“), der die „Kontrolle“ ausübt. Vielmehr existiert eine pragmatische, an den Zweck der NGO gebundene Generallinie, die das Handeln im Sinne einer „Unity of Effort“ beeinflusst. In solchen Organisationformen gestaltet sich die Arbeit vergleichsweise kollaborativer. Ebenso wird ermöglicht, Entscheidungen auf der Ebene zu treffen, wo sie auch umgesetzt werden. Ganz allgemein gesprochen macht das NGOs grundsätzlich vielseitiger, flexibler, anpassungsfähiger – agiler – als staatliche Akteure.

    Ein weiterer Aspekt ist, dass NGOs – bedingt durch ihre Organisationsform – einen tendenziell höheren Informationsfluss und –austausch generieren und bewältigen. Die hohe Informationsdichte resultiert, verglichen mit (hierarchischen) staatlichen Akteuren in komplexen Einsatzszenarien, in einer Analyse der Gesamtsituation, die sich gegebenenfalls wesentlich näher an den „Realitäten“ orientieren kann beziehungsweise „korrekte“ Lösungen für Probleme produziert. Dadurch können ihre Aktionen spezifizierter und angepasster in den jeweiligen Szenarien sein als bei staatlichen Akteuren. Forschungen zu den komparativen Vorteilen von nichtstaatlichen Akteuren gegenüber Staaten stehen aber noch am Anfang (Steinmetz, 2010). Erste Experimente in Bezug darauf existieren, sind aber nicht allgemeingültig (Alberts, 2011).

    Das „realistischere“ Modell des Einsatzszenarios ist aber nicht ausschließlich eine Frage der Organisationsform. Bei NGOs fehlen schlicht und ergreifend politische Weisungen, die Lagebilder verzerren, Interpretationen vorgeben oder Handlungsweisen diktieren. Eine weitere Rolle kann auch die kontinuierliche Anwesenheit nichtstaatlicher Akteure in einem regionalen Tätigkeitsbereich, die damit gesammelte Erfahrung und auch die gegebenenfalls höhere Bewegungsfreiheit spielen.

    Nachteilig wirkt sich diese Organisationsform bei der akteursübergreifenden Kommunikation, Kooperation und Koordination aus. Unabhängigkeit ist – wie erwähnt – ein zentraler Wesenszug des Selbstverständnisses von NGOs. Das Fehlen einer zentralen Koordinationsstelle wirkt sich – ab einer kritischen Anzahl von Akteuren – unvorteilhaft aus, da rein konsensorientierte Entscheidungsfindung viel Zeit kostet (Alberts, 2011).

    Licht und Schatten

    NGOs sind zwar per Definition von staatlichen Strukturen organisatorisch und finanziell unabhängig. Das heißt aber nicht, dass sie nicht ökonomisch handeln. Im Gegenteil: Kritisch betrachtet gibt es eine regelrechte „Industrie der Hilfe“, die jährlich ca. 120 Milliarden Dollar verschlingt (Polman, 2010). Grundsätzlich gesehen sind finanzielle Ziele und Gewinnmaximierung innerhalb von NGOs dem „Missionsziel“ nachgeordnet. So lange der instrumentelle Charakter dieser Ziele aufrechterhalten wird, entsteht auch kein systemischer Zielkonflikt zwischen Hilfsleistung und Selbsterhalt.

    Dennoch droht die Gefahr, sich dieser Ökonomisierungsfalle nicht entziehen zu können. Die daraus resultierenden Probleme beklagt beispielsweise die niederländische Journalistin Linda Polman. Der von ihre geschilderte Teufelskreis: Um organisatorisch und finanziell unabhängig zu bleiben, sind Nichtregierungsorganisationen im Informationszeitalter gezwungen, ihre Projekte medienwirksam zu präsentieren. Nur auf diese Weise lassen sich Spenden in gegenüber Katastrophen schon fast abgestumpften Gesellschaften erzielen. Gerät dieser Mechanismus außer Kontrolle, verhindern die ökonomischen Zwänge eine an die Sachlage angepasste Projektdiversifizierung. In den Regionen, in denen der Medienrummel tobt, herrscht manchmal Überversorgung. Dort, wo mediales Vergessen einsetzt, bleiben die Menschen gegebenenfalls auf der Strecke.

    Ein gefährlicher Abgrund, der eine dunkle Seite des Nichtregierungssektors markiert. In ihrem Streben nach Gewinnmaximierung drehen solche Akteure ihre Fahnen nach dem Wind jeder beliebigen Katastrophe, ihre Bilder flackern medienwirksam in unsere Wohnzimmer. Hier gilt es vor allem, berechtigte Kritik zu üben, couragiert Projekte zu hinterfragen, und – wenn überhaupt – reflektiert Geld und Engagement zu spenden.

    Der Großteil der Organisationen und ihre Mitarbeiter werden jedoch ihrer Verantwortung gerecht und helfen nicht nach ökonomischen Gesichtspunkten, wie andere Studien deutlich unterstreichen (Lindenmayer, 2008. Schuhmacher, 2010). Ihnen gebührt unser Dank, Respekt und Anerkennung. Vor allem aber verdienen diese Akteure unsere konstante Aufmerksamkeit und Unterstützung.

    Eine Zusammenarbeit mit diesen NGOs in den Einsätzen der Bundeswehr oder im Rahmen der Katastrophenhilfe ist sinnvoll und im Rahmen der heute erweiterten Aufgabenstellungen von Militär unerlässlich. Dabei empfiehlt es sich allerdings, gründlich zu prüfen, ob das „Gegenüber“ eine relevante Organisation ist. Das heißt, sie hat eine gewisse Lebensdauer und Nachhaltigkeit, offizielle Geschäftsstellen und transparente Strukturen, ist Teil anerkannter Dachverbände oder wurde durch die Vereinten Nationen akkreditiert

    Datum: 18.09.2012

    Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/2

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