23.01.2012 •

ERFAHRUNGEN ALS MEDICAL MENTOR IN KUNDUZ

In der aktuellen Strategie der Stärkung der Strukturen der Afghanischen Sicherheitskräfte und damit der Schaffung der Befähigung zur eigenverantwortlichen Übernahme der Sicherheitsverantwortung für Afghanistan kommt den Operational Mentoring and Liason Teams (OMLTs) eine Kernrolle zu.

Ihr Erfolg bei der Beratung und Anleitung der Afghanischen Armee legt den Grundstein für unseren Abzug nach erfolgreicher Sicherung der afghanischen Gesellschaft.

Vorausbildung

Ein Einsatz dieser Art erfordert eine gründliche Vorbereitung. In meinem Fall bedeutete dies ab Ende Juni 2010 eine Kommandierung nach Manching bei Ingolstadt, um mit der dortigen FlaRakGrp 23, die den weitaus größten Teil des OMLT GSU zu stellen hatte, die Vorausbildung zu durchlaufen. In enger Abstimmung mit der Luftwaffen Inspektion der Infanterieschule des Heeres in Hammelburg wurde bei den vorgesehenen Teilnehmern, fast jeder Dienstposten war am Anfang doppelt besetzt, in einer Ausbildung am Standort die infanteristischen Grundfertigkeiten aufgefrischt.

Zusätzlich wurde intensiv in Verhalten bei Konvoifahrten (Stichworte: 5/25er, VP-Check) und das Verhalten nach dem neuen Schießausbildungskonzept geschult. Unterbrochen wurde diese Zeit durch die einwöchige ZA EAKK der Luftwaffe in Germersheim, einem vierwöchigen Aufenthalt an der Infanterieschule in Hammelburg, einem zweiwöchigen Lehrgang für Mentoren am Joint Forces Training Centre (JFTC) der NATO in Bydgosz in Polen und der zweiwöchigen ZA EAKK Heer in Wildflecken. Zusätzlich war es mir möglich, meine sanitätsdienstlichen Kenntnisse in Form eines Ersthelfer „B“ aufzufrischen. Die Ausbildung wurde beendet durch den Feierlichen Verabschiedungsappell am 09.12.2010 in Manching im Beisein des Parlamentarischen Staatsekretärs Kossendey.

Mein OMLT

Das OMLT GSU 2nd Brigade/ 209th Afghan National Army (ANA) – Corps wurde mit einer Gesamtstärke von 30 Soldaten geführt vom Kdr FlaRakGrp 23 als Senior Mentor. Sein Stellvertreter als Senior Mentor war der S 3- StOffz/ XO Mentor, ebenfalls im Rang Oberstleutnant. Folgende Führungspositionen und - grundgebiete wurden durch Mentoren abgebildet: Kommandeur GSU, Stv. Kdr GSU/ S 3 StOffz, S 1, S 3 Training, S 4, S 6, Engineer, Command Sergeant Major, Verpflegungsmanagement (Food Mentor), Chef der Security Kompanie und die Troop Medical Clinic (TMC). Der geplante Finance Mentor wurde durch unser OMLT nicht besetzt, da die GSU über kein eigenes Budget verfügt. Durch Inanspruchnahme unseres Unterstützungspersonals konnten noch folgende Funktionen durch Mentoren unterstützt werden: Chef Headquarter Kompanie, Fire Brigade, Main Gate und Kfz-Instandsetzungsgruppe.

Der Rest unseres OMLT bestand aus einem National Support Element (NSE), den Fahrzeugkommandanten, den Fahrern, Richtschützen und einem Sprachmittler (Deutsch – Dari) des Bundessprachenamtes. Logistisch wurden wir von der NSE des OMLT HQ 2nd Brigade/ 209th ANA – Corps mitversorgt. Auch die Aufgaben des Kompaniefeldwebels, des TVB, S 6 und so weiter wurden dort ausgebildet. Diese Konstruktion führte manchmal zu Verstimmungen, da die Herangehensweise an einige Probleme sich bei Heer und Luftwaffe teilweise erheblich unterscheiden. Untergebracht waren wir im Feldlager Kunduz in Containern mit durchgehend Zwei- Mann-Belegung. Diese Container wurden erst im Laufe unseres Kontingentes mit modularen Elementen gehärtet. Der Fahrzeugpool bestand aus Dingo I, Wolf SSA, Enok und Eagle IV.

Die Troop Medical Clinic der Garrison Support Unit 2/209 Kunduz

Die Garrison Support Unit (GSU) könnte man am ehesten mit dem Begriff „Feldlagerbetriebseinheit“ übersetzten. Die GSU hat Bataillonsrang und untersteht entweder direkt dem Korps in Mazar-e Sharif oder der 2. Brigade in Kunduz. Die Aussagen hierzu sind nicht einheitlich und variieren, je nachdem wann man wen in welcher Situation fragt. Das Problem der Unterstellung konnte bis zum Ende des Kontingentes nicht abschließend geklärt werden.

Aufgabe der GSU ist die Verpflegung und Versorgung der im Lager befindlichen Einheiten, das Gebäudemanagement und die Sicherung der unmittelbaren Umgebung. In diesem Zusammenhang betreibt die GSU mit der Troop Medical Clinic (TMC) eine ortsfeste Sanitätseinrichtung zur truppenärztlichen Behandlung und stationären Pflege.

Die TMC GSU 2/209 war während meines Kontingentes aufgrund der noch nicht fertiggestellten Infrastruktur vorläufig in einem Stabsgebäude untergebracht, was aus hygienischer und räumlicher Sicht einige Einschränkungen mit sich gebracht hat.

Das Personal besteht laut Tashkeel („STAN“ der ANA) aus:

  • einem Leiter (Arzt, Oberstleutnant),
  • seinem Stellvertreter (Arzt, Major),
  • zwei SanOffz Arzt (Hauptmann/ Oberleutnant),
  • zwei Krankenpflegern (Oberleutnant),
  • einem SanOffz Arzt Radiologie (Hauptmann),
  • einem SanOffz Zahnarzt (Hauptmann),
  • einem SanOffz Apotheker (Oberleutnant),
  • einem SanOffz Preventive Health (Oberleutnant),
  • einem SanOffz Labor (Oberleutnant),
  • einem Master Sergeant („Spieß“),
  • weiteren acht Unteroffizieren und drei Mannschaften, sowie einem zivilen Verwaltungsangestellten.

 

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Abb. 1: Personal der TMC Kunduz mit Mentor und lokalem Sprachmittler

 

Die Besetzungsquote der Dienstposten, vor allem im Bereich der SanOffz, war durchgehend schlecht. Dem Personal (Abb. 1) ist es trotzdem gut gelungen, einen für afghanische Verhältnisse guten und ausreichenden Standard zu schaffen und zu erhalten. Ein weiteres Problem war die Tatsache, dass die Ärzte durchweg, obwohl vom Tashkeel gefordert, keine „studierten“ sondern nur „gelernte“ Ärzte waren. Dieses Manko an Ausbildung hatte bei der durchgeführten Behandlungshöhe allerdings kaum Auswirkungen. Als Einrichtungen einer höheren Behandlungsebene standen zur Verfügung:

  • das zivile staatliche Krankenhaus in Kunduz,
  • mehrere zivile private Kliniken und Labors in Kunduz,
  • das militärische Regionalkrankenhaus in Mazar-e-Sharif,
  • das militärische Zentralkrankenhaus in Kabul,
  • und in Notfällen das Rettungszentrum PRT Kunduz.

 

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Abb. 2: Pflegestation der TMC mit Tagespatienten

Die Möglichkeiten zum Transport in eine höhere Behandlungsebene wurden zum Wohl des Patienten regelmäßig in Anspruch genommen. Der Kontakt zum RZ PRT Kunduz bei Notfällen und bei Anfragen zur diagnostischen Unterstützung wurde durch mich aufrecht erhalten und terminlich koordiniert. Bei Notfallbehandlungen durch das RZ PRT Kunduz konnten die Patienten regelmäßig frühzeitig auf die Pflege der TMC abgesteuert werden, so dass hier die Bettenbelegung durch Angehörige der ANA auf ein Minimum reduziert werden konnte. Die Pflege durch das Personal der TMC war, trotz der widrigen örtlichen Umstände, gut und ausreichend (Abb. 2).

 

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Abb. 3: Die Fahrzeuge der TMC
 

Die Behandlung der Patienten der Truppenarztsprechstunde erfolgte meist durch die Gabe von Medikamenten. In der TMC war die bevorzugte Darreichungsform per Infusion mit zwei positiven Effekten: die Medikamente sind sicher im Patienten und können nicht an der nächste Ecke verkauft werden und der Flüssigkeitsmangel als häufige (Mit-) Ursache wird mit ausgeglichen. Auch war hier positiv, dass im Vergleich zu zivilen Arztpraxen sehr viel weniger Medikamente verschrieben und jeweils auch immer nur in einer Menge von maximal 5 Tagesdosen ausgegeben wurden. Im Rahmen der Aufgaben der GSU war die TMC für den taktischen Verwundetentransport in der nächsten Umgebung des Camps zuständig. Hierzu stehen der TMC zwei „HUMVEE“ und drei „Ranger“ – Ambulanzen zur Verfügung (Abb. 3).

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Abb. 4: Ein Tisch im Speisesaal nach dem Frühstück

Problemfelder

Als deutlichstes Problem tritt zu Tage, dass der afghanische Sanitätsdienst nicht die Akzeptanz genießt, wie er es in westlichen Armeen tut. Der Truppenarzt ist auch in der ANA für die sanitätsdienstliche Operationsplanung oder die Feldlagerhygiene zuständig. Er kann diese Tätigkeiten natürlich nur ausüben, wenn seine Expertise auch tatsächlich abgefragt wird. Sehr deutlich wurde dieses Problem beim Thema Hygiene in der Truppenküche. Die einfachen Soldaten neigen dazu, recht viel Essensreste auf den Tischen zurückzulassen (Abb. 4).

 

 

Die einfache Lösung des Küchenpersonals war es, die Tische mit der Abziehlippe abzuziehen und den Speisesaal mit dem C-Schlauch auszuspritzen. Unabwendbare Folge der hohen Feuchtigkeit war eine vermehrte Schimmelbildung. Zusammen mit den unhygienischen Verhältnissen in der Küche (allerdings habe ich schon weit schlimmere Küchen in Afghanistan gesehen) war dies immer eines der Hauptkritikpunkte des Preventive Health Officers bei der Küchenbegehung. Der LogStOffz im Rang eines Oberstleutnants als Dienstaufsichtführender denkt allerdings nicht im Traum daran, sich von einem Hauptmann sagen zu lassen, wie er seinen Job zu machen hat. Hier wird deutlich, wie sehr die Afghanische Gesellschaft, und damit natürlich auch die Armee, die persönliche Stellung über die fachliche Expertise stellt.

In enger Zusammenarbeit mit dem Food Mentor und dem LogStOffz Mentor gelang es uns, diese Situation entscheidend zu verbessern. Die verantwortlichen Personen konnten davon überzeugt werden, dass es sinnvoll ist, auch zum Frühstück Teller auszugeben und Abfallsammelbehälter bereitzustellen. Vom Food Mentor wurde zusätzlich mit ANA-angehörigen ein Lehrvideo zum richtigen Verhalten während der Essenszeiten gedreht und dieses den Kompaniefeldwebeln zum Dienstunterricht überlassen.

Ein anderer Aspekt der hier mit betrachtet werden muss, ist die „Inschallah“-Mentalität. Allah bestimmt alle Aspekte des Lebens vorher. Diese Vorstellung ist, vor allem in der einfacheren afghanischen Bevölkerung, sehr tief verwurzelt. Wenn das gesamte Lager an einer Ruhr-Epidemie stirbt, war es Allahs Wille, ob der Truppenarzt etwas gesagt hat oder nicht, er hätte es nicht verhindern können. Dieses Phänomen trat auch bei einem anderen Aspekt deutlich zu Tage: dem Transport von Leichen. Die Pflicht, Tote möglichst schnell zu beerdigen, wird als religiöses Gebot sehr hoch geachtet. So hoch, dass es über dem Gebot zur Behandlung von Verletzten steht. Mit Allahs Hilfe wird der Verletzte überleben, ob er im OP angekommen ist oder nicht. Es ist mehrfach vorgekommen, dass Rettungsmittel durch Leichentransport gebunden wurden, obwohl sie operativ zum Verletztentransport zur Verfügung hätten stehen müssen. Auch mit der Argumentation, dass Tote auch mit einem Zweitonner würdevoll transportiert werden können oder dem Vorschlag, die Zuständigkeit an den Religious Officer oder den S 1 abzugeben, konnte ich nicht vordringen.

Ein weiteres großes Problem ist das Verhältnis des Vorgesetzten zu seinen Untergebenen und zum Material. Auch hier schlägt noch deutlich die alte Stammesgesellschaft durch. Der Vorgesetzte ist als Führer für seine Untergebenen in allen Aspekten verantwortlich. Daraus resultierten auch die Phänomene, dass der Vorgesetzte als „Oberhaupt“ selbstverständlich vom Verdienst des Untergebenen einen Anteil einfordern kann. Er wäre ja im Gegenzug auch bei Ausbleiben der Zahlungen zur Zahlung aus der eigenen Tasche verpflichtet.

Diese Praxis konnte mit der Einführung der unbaren Lohnzahlung auf individuelle Konten bei der „Kabul Bank“ eingedämmt werden. Aus dem selben Verständnis heraus betrachten viele militärische Führer das bereitgestellte Material als Eigentum des Amtsinhabers, das dieser nach eigenem Ermessen zur Auftragserfüllung verwenden kann. Vermeintliche Überschüsse an Material können so ohne Skrupel verkauft werden, solange auch die jeweiligen Vorgesetzten dann davon profitieren können. Diese Auffassung von Materialverantwortung hat wieder andere konkrete Auswirkungen was die Verwaltung angeht. Es ist einem Depotverwalter schwer verständlich zu machen, warum er Material ohne Gegenleistung an nicht unterstellte Einheiten abgeben soll. Damit verschenkt er es seiner Empfindung nach.

Die beschriebenen Probleme treten definitiv nicht bei allen auf, es gibt auch bei der ANA ein paar Idealisten, diese sind aber nicht sehr verbreitet. Wer sich als Soldat, besonders als Offizier, diesem System nicht anpasst oder zumindest unterordnet wird ausgeschlossen und geht unter. Es zeigt sich hier deutlich, dass das für die ANA vorgesehene System an den gesellschaftlichen Lebenswirklichkeiten Afghanistans vorbei geht. An diese Probleme muss allerdings systemisch herangegangen werden. Dieser Gesellschaft unreflektiert das westliche System überstülpen zu wollen, halte ich für zu kurz gedacht. Hier sollte ein System gefunden werden, das beide Mentalitäten zumindest berührt.

Erfolge und Ausblick

Der GSU 2/209 (einschließlich der TMC) wurde bei der durch das ISAF Joint Command (IJC) im Juli 2011 durchgeführten Validierung das Prädikat „Independent“ verliehen. Die GSU 2/209 ist damit die erste Einheit dieser Art, die voll eigenverantwortlich ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Das OMLT GSU 2/209 wird auf ein Verbindungselement beim OMLT HQ 2/209 abgeschmolzen, wobei die Sanität weiterhin vertreten sein wird.

Während meines Kontingentes gab es Planungen, die ortsfesten Sanitätseinrichtungen, damit auch die TMC 2/209, aus den GSUs herauszulösen und den Regionalkrankenhäusern, im Fall Kunduz das Krankenhaus in Mazar- e Sharif, zu unterstellen. Dies hätte zumindest in der SanMat Versorgung Vorteile. Das vor kurzem eingeweihte neue Gebäude hätte auch noch Reserven für einen Personalaufwuchs, sollten in der Garnison mehr Truppenteile als zur Zeit stationiert werden.

Fazit

Der Einsatz der Mentoren ist essentiell, um die ANA zu befähigen, in naher Zukunft gemeinsam mit den Koalitionskräften oder selbstständig die Sicherheitsverantwortung für Afghanistan zu übernehmen. Den Mentoren kommt dabei die bedeutende Rolle zu, die ANA-Führer zu befähigen, mit dem gegebenen logistischen System ihre Einheiten effektiv zu führen. Die Medical Mentoren müssen in Zusammenarbeit mit den Mentoren der anderen Führungsgrundgebiete die Akzeptanz der Fachexpertise der afghanischen Sanitätsoffiziere stärken. Insbesondere ist von allen auf eine Änderung des Stellenwertes einer funktionierenden sanitätsdienstlichen Versorgung, insbesondere einer lückenlosen Rettungskette, hinzuwirken.

Datum: 23.01.2012

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/4

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