05.05.2011 •

AUSBILDUNGSUNTERSTÜTZUNG FÜR DEN AFGHANISCHEN SANITÄTSDIENST

OPERATION „OMID (HOFFNUNG)“ – EINE NEUE AFGHANISTANSTRATEGIE

Eine Reihe von militärischen Krisenund Stabilisierungseinsätzen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass eine entscheidende Voraussetzung für den Erfolg eines solchen Einsatzes die Definition eines angestrebten Endzustandes ist.

Dazu ist die Festlegung einer Strategie zur Erreichung dieses konkreten Ziels erforderlich. Dies gilt auch für den laufenden ISAF Einsatz, bei dem eine Koalition von 42 Ländern versucht, Afghanistan so weit zu stabilisieren, dass ein sicheres und friedliches Umfeld eine geordnete Zukunft für das Land und seine Bewohner ermöglicht.

Im Jahr 2009 wurde diese Strategie durch General McChrystal, dem damaligen Oberkommandierenden des ISAF Einsatzes neu definiert und im NATO Rat durch alle beteiligten Nationen akzeptiert. Sie sieht neben einem intensivierten Wiederaufbau („Reconstruction and Development“) auch die Beeinflussung der politischen Führung Afghanistans vor, damit diese sich ihrer Aufgaben als Regierung aller Afghanen bewusst wird, Korruption aktiv bekämpft und einen für jeden Bürger sichtbaren Fortschritt im Lande erzielt („Good Governance“). Nur so kann die afghanische Bevölkerung zunehmend Vertrauen in ihre Regierung entwickeln und dann entscheiden, diese Regierung auch aktiv zu unterstützen (Lee, 2009).

Aus militärischer Sicht muss neben der Bekämpfung der Aufständischen der Schutz der afghanischen Bevölkerung absoluten Vorrang haben („Protect the population“). Nur so kann verhindert werden, dass sich die Afghanen aufgrund der fehlenden Sicherheit in allen Landesteilen und der allgegenwärtigen und existenziellen Bedrohung ihrer Familien durch Aufständische gezwungen sehen, ebendiese zu unterstützen. Der umfassende Schutz der Bevölkerung ist nur möglich, wenn die Präsenz von Sicherheitskräften so erhöht wird, dass sie flächendeckend, dass heißt in jeder Stadt und jedem Dorf sichtbar ist. Mit dem alleinigen Einsatz von Kräften der ISAF Koalition ist dies keinesfalls vollständig zu erreichen. Vielmehr muss es gelingen, diese Sicherheitspräsenz zunächst in einer engen Zusammenarbeit der ISAF Kräfte mit Angehörigen der afghanischen Streitkräfte, Afghan National Army (ANA), und der afghanischen Polizei, Afghan National Police (ANP1), zu gewährleisten. Langfristig wird dann die Verantwortung schrittweise mehr und mehr den afghanischen Sicherheitskräften allein übertragen. Erst wenn diese in der Lage sind, selbst für ausreichend Sicherheit zu sorgen, wird die Staatengemeinschaft sukzessive in der Lage sein, sich mit ihren militärischen Kräften aus Afghanistan zurückzuziehen („Exit strategy“).

Die ISAF Kräfte stehen also vor der großen Aufgabe, eine ausreichend große Zahl leistungsfähiger und zuverlässiger afghanischer Soldaten und Polizisten zeitnah ausbilden zu müssen. So leitete McChrystal in seinem „Initial Assessment“ zur Lage in Afghanistan her, dass statt der bisher geplanten 234.000 afghanischen Sicherheitskräfte mindestens 400.000 (240.000 Soldaten und 160.000 Polizisten) benötigt werden, damit die Afghanen ihre eigene Sicherheit gewährleisten können (McChrystal, 2009). Mit Annahme der neuen Strategie forderte der Oberkommandierende der ISAF Kräfte auch von der Bundesrepublik Deutschland ein stärkeres Engagement bei der Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten (Gebauer, 2010), zu der sich die Bundesregierung mit dem Entschluss, die militärische Ausbildung und die Polizeiausbildung zu verstärken, auch bekannte (Die Bundesregierung, 2010).

Zunächst standen bei der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte die Kampftruppen im Vordergrund. Es wurde aber rasch deutlich, dass eine Durchhaltefähigkeit und hohe Moral der afghanischen Kräfte nur durch eigene Logistikkräfte und einen leistungsfähigen Sanitätsdienst erreicht werden kann. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr muss sich der Aufgabe stellen, den afghanischen Sanitätsdienst weiter zu entwickeln, zumal durch die Verbesserung der Fähigkeiten des afghanischen Sanitätsdienstes auch eigene Kräfte entlastet werden. Ziel ist die Versorgung afghanischer Verwundeter in afghanischen Behandlungseinrichtungen.

Der afghanische Sanitätsdienst heute und in der Zukunft 

Insbesondere durch das Engagement des amerikanischen Ausbildungskommandos in Afghanistan, des Combined Security Transition Command – Afghanistan (CSTC – A), konnte in den Jahren von 2001 bis 2009 die Grundorganisation eines afghanischen Zentralen Sanitätsdienstes unter der Führung des Surgeon General aufgebaut werden. In 2009 wurde ein großer Teil der Aufgaben von CSTC-A durch die neugeschaffene NATO Training Mission for Afghanistan (NTM-A) übernommen, die mit ihrem Personal aus einer Reihe von NATO Staaten die Anstrengungen zum Aufbau eines Zentralen Sanitätsdienstes fortsetzt.

Übergeordnete Kommandobehörde ist eine Art Sanitätsführungskommando, das sowohl für Fachfragen als auch für sanitätsdienstliche Einsatzfragen zuständig ist und durch den stellvertretenden Surgeon General geführt wird. Strukturell finden sich darunter das Zentralkrankenhaus in Kabul mit 400 Betten und die militärärztliche Akademie. Dazu kommen das sanitätsdienstliche Ausbildungszentrum mit der Krankenpflege- und der Rettungssanitäter- Schule (Combat Medic School), 3 Polikliniken und das Infektionschutzzentrum, 4 Regionale Militärkrankenhäuser mit inzwischen je 100 Betten sowie ein Sanitätsmaterialversorgungskommando (Abb. 1).

Darüber hinaus verfügt jedes afghanische Korps über eigene sanitätsdienstliche Kräfte, die in die jeweiligen Brigaden und Kandaks2 integriert sind. So ist grundsätzlich jeder Brigade innerhalb der Combat Service Support (CSS) Kandaks eine Sanitätskompanie unterstellt (siehe Gliederungsbild). Diese soll neben MEDEVAC Fähigkeiten und Rettungsstationen auch ein kleines Rettungszentrum als mobile chirurgische Behandlungseinrichtung zur Verfügung stellen. Diese Anteile sind jedoch weder materiell noch personell bisher aufgestellt. Eine besondere Herausforderung wird in der nahen Zukunft darin bestehen, die Einsatzkonzepte für die afghanischen Sanitätskompanien weiterzuentwickeln und durch Ausbildung und Übung rasch eine ausreichende Einsatzfähigkeit herzustellen, da ihnen vor dem Hintergrund der aktuellen Kämpfe in Afghanistan für die Verbesserung der afghanischen Sanitätsversorgung eine wichtige Rolle zufällt (Abb. 2).

Ergänzend verfügt jedes Bataillon über einen eigenen Truppenverbandplatz mit einem Sanitätsoffizier Arzt. In alle Kampf- und Kampfunterstützungskompanien sind Rettungssanitäter (Combat Medics) als Erstversorger integriert. Zudem ist an jedem Standort ein Sanitätsbereich (Garrison clinic) vorhanden, der die tägliche medizinische Versorgung der Soldaten sicherstellt.

Insgesamt ist der afghanische Sanitätsdienst eher stationär und auf einen Einsatz im eigenen Land hin ausgerichtet. Daher stehen die stationären Behandlungseinrichtungen aus afghanischer Sicht im Schwerpunkt der Aufbauanstrengungen. Der Gesamtumfang der afghanischen Sanitätskräfte soll nach voller Aufstellung mindestens 3000 Soldaten umfassen.

Ziel ist es, einen afghanischen Sanitätsdienst mit folgendem Leistungsvermögen zu entwickeln:

  •  Medizinische ambulante und in eingeschränktem Umfang auch stationäre Versorgung aller Soldaten und Polizisten, bei Bedarf auch der Familienangehörigen sicherzustellen, einschließlich zahnmedizinischer Behandlung.
  • Notfallmedizinische Versorgung und Stabilisierung von Verletzten.
  •  Fähigkeit, die Inzidenz von Erkrankungen durch gezielte präventivmedizinische und Hygienemaßnahmen zu reduzieren.
  • MEDEVAC vom Ort der Verwundung, primär mit bodengebundenen Rettungsfahrzeugen.
  • TACEVAC von einer Behandlungseinrichtung zur nächsten (ggf. auch über geplanten Lufttransport).
  • Beratung der militärische Führung über sanitätsdienstliche Aspekte der Operationsführung.
  • Mitwirkung bei Ausführung ziviler medizinischer Notfallpläne und bei Katastrophensituationen.

Dabei gilt es vor allem in den Aufgabenbereichen Behandlung, MEDEVAC, Sanitätsmaterialversorgung, Präventivmedizin und Führungsfähigkeit Fortschritte zu erzielen.

Obwohl in den letzten Jahren die Medizinische Fakultät der Universität Kabul mit amerikanischer und europäischer Hilfe ihre Lehrtätigkeit wieder aufgenommen hat und auch jedes Jahr ca. 50 Sanitätsoffiziere Arzt in einem 7-jährigen Studiengang ausbildet, fehlt den afghanischen Streitkräften insbesondere vor dem Hintergrund des raschen Aufwuchses qualifiziertes Personal auf allen Ebenen.

Um dem Ärztemangel entgegentreten zu können, werden jetzt zusätzliche Hilfsärzte (Physician Assistants –PA) in einem 12-monatigen Curriculum ausgebildet. Die Krankenpflegeschule hat die Zahl der in Ausbildung befindlichen Krankenschwestern verdoppelt und neben der Combat Medic School in Kabul gibt es nunmehr in jeder Region eine Zweigstelle für die Rettungssanitäter-Ausbildung. In den afghanischen Combat Medic Schools wird von afghanischer Seite nachdrücklich der Ansatz verfolgt, möglichst schnell die vollständige Ausbildungsverantwortung für die dort durchgeführten Lehrgänge in die Hände der afghanischen Ausbilder zu legen, die dann nur noch durch ISAF Ausbilder punktuell unterstützt werden. In Kabul und Herat erfolgte diese Übertragung der Verantwortung bereits in 2010 bzw. Anfang 2011 (Hickock, 2011).

Im Bereich der regionalen Militärkrankenhäuser sind inzwischen genügend ausgebildete Ärzte verfügbar. Jedoch gibt es noch eindeutige Defizite bei der ärztlichen Facharztweiterbildung. Die chirurgischen Abteilungsleiter verfügen zwar über ein für afghanische Verhältnisse in der Regel vergleichsweise gutes fachliches Niveau. In vielen anderen Fachgebieten fehlen aber häufig erfahrene Fachärzte, die ihr Wissen an junge Assistenzärzte weitergeben könnten. Will man die Fähigkeiten der Militärkrankenhäuser verbessern, werden die Sanitätsdienste der beteiligten ISAF Staaten in diesem Bereich unterstützen müssen. So konnte im Januar 2011 mit französischer Hilfe im Zentralkrankenhaus in Kabul eine Intensivstation eröffnet werden, die auch beatmeten Schwerstverletzten eine fachgerechte Behandlung ermöglicht (Magill, 2011) (Abb. 3).

Aus afghanischer Sicht liegt, neben der Ausbildung kompetenten Fachpersonals in ausreichender Zahl, ein besonderes Augenmerk auf der Erste-Hilfe-Ausbildung aller Soldaten und Polizisten der afghanischen Sicherheitskräfte. Insbesondere lebensrettende Maßnahmen und der Umgang mit der Erste-Hilfe-Ausstattung sollen allen umfassend vermittelt werden.

Aufbau der Sanitätsdienste der ANA und der ANP – Zuständigkeiten

Der weitere Aufbau afghanischer sanitätsdienstlicher Fähigkeiten liegt zunächst in der Verantwortung der afghanischen Streitkräfte. Bei aller Unterstützung durch die Sanitätskräfte der NATO darf dieser Aspekt frei nach dem Grundsatz „Gib dem Menschen einen Fisch, und du ernährst ihn für einen Tag – lehre ihn fischen, und du ernährst ihn für sein Leben (Laotse)“ nie aus den Augen verloren werden.

Seitens der NATO werden alle Maßnahmen und Vorhaben für die sanitätsdienstliche Unterstützung beim Aufbau afghanischer Fähigkeiten im medizinischen Bereich durch den Medical Advisor des ISAF Hauptquartiers in Kabul koordiniert. Die Medical Training Advisory Group (Medizinische Ausbildungs- und Beratergruppe) der NTM-A trägt die zentrale Verantwortung für die Umsetzung der Vorgaben. Sie wird durch einen amerikanischen Colonel (z. Zt. Col Geller) geführt und erstellt Richtlinien und Konzepte sowie fachliche Vorgaben für den Aufbau und die Weiterentwicklung der afghanischen Sanitätskräfte in direkter Abstimmung mit dem Office of the Surgeon General der ANA und der ANP (Silvestros et al., 2010). Die Surgeon General der ANA und der ANP werden auch direkt in allen Fragen der Weiterentwicklung des afghanischen Sanitätsdienstes durch den Commander der Medical Training Advisory Group beraten.

Mit eigenen Kräften, in der Regel sogenannten Embedded Training Teams(ETT) und militärischen sowie zivilen Ausbildern, unterstützt NTM-A direkt den Aufbau der nötigen Fähigkeiten im Zentralen Sanitätsdienst der afghanischen Sicherheitskräfte. Der Schwerpunkt liegt bei der Unterstützung des Zentralkrankenhauses in Kabul und der vier regionalen Militärkrankenhäuser sowie den afghanischen zentralen Ausbildungseinrichtungen (Medizinische Militärakademie, Krankenpflegeschule, Rettungssanitäterschule). Falls erforderlich, werden die militärischen Trainer durch zivile Ausbilder unterstützt, die zum Beispiel vom amerikanischen Verteidigungsministerium bei der „Military Professional Resources Incorporated - MPRI“ als Vertragspartner verpflichtet werden.

Das militärische Hauptquartier der ISAF Kräfte, das ISAF Joint Command, stellt hingegen über seine Regionalkommandos (Regional Command – RC) die Entwicklung sanitätsdienstlicher Fähigkeiten bei den afghanischen Kräften der ANA auf der Ebene Korps und darunter sicher. Im regionalen Zuständigkeitsbereich der ANP wird diese unter Berücksichtigung der fachlichen Vorgaben der Surgeon General von ANA und ANP sowie der Medical Training Advisory Group der NTM-A ebenfalls unterstützt (siehe dazu auch das Kapitel „Aufbau des afghanischen Sanitätsdientes aus Sicht eines Regional Commands am Beispiel des RC North“). Dabei werden vorwiegend folgende zwei unterschiedliche Konzepte genutzt: das Mentoring durch Operiational Mentoring and Liasion Teams (OMLT) und das Partnering durch eine direkte Partnerschaft zwischen einer afghanischen Einheit und einer ISAF Einheit.

Mentoring und Partnering – zwei Konzepte

Beide Ausbildungskonzepte werden zurzeit in Afghanistan parallel angewendet. Das Mentoring nutzt primär Mentoren in allen Bereichen der afghanischen Führung, die im täglichen Zusammenleben als enge Berater des jeweiligen afghanischen Führers auftreten und diesen bei der Gestaltung seiner Führungsaufgaben unterstützen. Die Mentoren sind dabei intensiv in den Tagesdienstbetrieb eingebunden. Mentoren müssen in der Lage sein, sich in die Situation der von ihnen beratenen Führer hinein versetzen können und bleiben in der Regel im Hintergrund, wenn die afghanischen Führer ihrer Führungsfunktion auch nachkommen. Hier sind Fingerspitzengefühl und Hartnäckigkeit zugleich gefordert (siehe dazu auch das Kapitel „Aus dem Alltag eines OMLT im RC North“).

Beim Partnering führen eine afghanische Einheit und eine Einheit der ISAF-Kräfte Ausbildung und Operationen gemeinsam durch und lernen so durch intensive Zusammenarbeit direkt voneinander. Partnering ist immer dann ein besonders geeignetes Konzept, wenn aufgrund des militärischen Auftrages und der Operationsführung afghanische Einheiten sowieso mit ISAF Einheiten zusammenarbeiten müssen. Die Operationsführung ist dann besonders erfolgreich, wenn sich beide Partner gut kennen und eng miteinander abgestimmt vorgehen. Dies gilt auch für die sanitätsdienstliche Versorgung während gemeinsamer Operationen, wo Erstversorgung von Verwundeten, Evakuierung und Behandlung von Patienten nach den gleichen Grundsätzen erfolgen müssen, um möglichst effizient zu agieren. Beide Ausbildungs- und Schutzbataillone im RC North tragen zum Aufbau afghanischer militärischer Fähigkeiten durch Partnering aktiv bei.

Wie Mentoring und Partnering von der afghanischen und der ISAF Seite jeweils bewertet werden, hängt ganz wesentlich von den handelnden Personen ab. Bei beiden sind umfassende und tiefgehende Kenntnisse des kulturellen und sozialen Hintergrundes auf afghanischer Seite von entscheidender Bedeutung und müssen bereits vor Einsatzbeginn in der einsatzvorbereitenden Ausbildung nachhaltig vermittelt werden, da der Alltag eines Mentoren häufig von schwierigen Situationen und Überraschungen geprägt wird, wie der folgende Bericht von Leutnant Holzhäuser aufzeigt, der 2010 als OMLT in Afghanistan war:

Aus dem Alltag eines OMLT im RC North

„Der Tag kann als positiv bewertet werden. Heute wurde durch die amerikanischen Ausbilder in der MedicKp mein Rat befolgt und die Sanitäter der ANA an ihrem Arbeitsgerät, dem Rettungsrucksack, ausgebildet. Des Weiteren bildete die MedicKp, mit Unterstützung eines amerikanischen Ausbilders, Soldaten der Brigade in Be- und Entladen der Krankenwagen aus. Ebenso hatte ich heute ein gutes vier Augen Gespräch mit Cpt Wasi bezüglich der bevorstehenden Operation. Leider erfuhr ich, dass er diese Information schon seit 2 Tagen hatte. Die Vorbereitung der Mission scheint in vollem Gange. Cpt. Wasi fragte mich, ob ich diese Mission begleite; meine Antwort war, dass ich an seiner Seite bin, wenn er auf Mission geht. CptWasi zeigte mir heute viele private Bilder von sich und seiner Familie. Cpt Wasi hat insgesamt fünf Brüder, wovon einer beim NDS, dem afghanischer Geheimdienst, arbeitet. Auch half ich ihm heute, ein Problem mit seinem Computer zu lösen, was meinem Ansehen zuträglich war. Der Tag stand im Zeichen des Vertrauenszuwachses.“

So ein Auszug aus meinem Einsatztagebuch. Natürlich gab es auch schlechte Tage. Häufig kam es vor, dass mein Counterpart einfach nicht da war. Die afghanische Mentalität hat ein anderes Selbstverständnis und eine für uns befremdliche Vorstellung von Disziplin. Alles steht unter dem Leitmotiv „Inschallah“ (So Gott will). Also, so Gott will, gelingt es uns, dass wir bei unserem Counterpart Gehör finden und so den Aufbau der ANSF voran bringen können.

Ich möchte darauf hinweisen, dass ohne persönliche Bindung zu seinem Counterpart ein Mentoring aus meiner Sicht nicht möglich ist.

Daher sehe ich es als unabdingbar an, interkulturelle Kompetenz bei den Mentoren vorauszusetzen. Nur wer sich auf persönlicher Ebene mit seinem Counterpart trifft, wird auch geachtet, da dies Teil der afghanischen Kultur ist und es die gegenseitige Wertschätzung zeigt. Auch kann man sich nicht stets der häufigen Einladungen zu gemeinsamen Mahlzeiten erwehren. Und dies ist wirklich nichts für empfindliche Mägen! Dass ich Vegetarier bin, wurde zum Glück akzeptiert.

Des Weiteren zeigt sich, dass die Sprachbarriere die Aufgabe erschwert. Da die meisten Sprachmittler (Interpreter) nur der englischen Sprache mächtig sind, ist es wichtig, diese zu beherrschen. Ungewollte oder gar gefährliche Missverständnisse können die Folge sein. Es ist auch sehr wichtig sich mit Mentoren anderer Nationen auszutauschen, insbesondere aus den USA als Leitnation für die OMLT.

Altersunterschiede und niedrigere Dienstgrade stellen ein Hindernis in der Wahrnehmung durch den jeweiligen Counterpart dar. Der Mentor gilt unter den afghanischen Offizieren als Statussymbol und seine Wertigkeit ist analog zum Dienstgrad. Der Mentor sollte im Heimatland die gleichen oder ähnliche Aufgaben ausüben wie die, die er im Einsatz auch als Mentor begleitet. Ist dies nicht der Fall, muss man sich gezielt auf seinen Aufgabenbereich als Mentor vorbereiten. Man sollte auch ein ähnliches Lebensalter haben wie der afghanische Führer, den man als Mentor begleitet, da dies in der afghanischen Kultur doch große Bedeutung hat.

Ein Mentor muss sich bewusst während seiner Aufgabe in Zurückhaltung üben, um weder falsche Hoffnungen zu wecken, noch in die Bedrängnis zu kommen, unbedachte Versprechungen wahr werden lassen zu müssen. Dies kann sehr schnell zum Vertrauensverlust zwischen Mentor und Counterpart führen.

Bisher hat sich gezeigt, dass es immer von Vorteil ist, seinen Counterpart wann immer möglich in einem guten Licht darzustellen und nach außen hin zu loben. So profitiert dieser von seinem Mentor und sieht das Positive in ihm. Dadurch wird die Bereitschaft, Ratschläge umzusetzen, maßgeblich gefördert.

Ansonsten besteht das Mentoring aus Beobachten, Bewerten und Schlussfolgern. Der Mentor sollte auch nicht ständig präsent sein, um nicht das Gefühl zu vermitteln, ein Kontrollorgan zu sein. Dennoch ist es wichtig, seine Arbeitszeit flexibel zu gestalten, um in wichtigen Momenten anwesend zu sein und zu zeigen, dass man seinem Counterpart den Rücken stärkt. Das Wort eines Mentors hat derzeit viel Gewicht und wird auch sehr bewusst wahrgenommen (Abb. 4).

Mentoring und Partnering im RC North

Im Verantwortungsbereich der Bundeswehr, dem RC North, sind neben Einheiten der ANP und der ABP im Schwerpunkt der Sanitätsdienst des 209 Korps der ANA sowie die Fähigkeiten des Regionalkrankenhauses in Mazar- e-Sharif weiter zu entwickeln.

Durch das Einsatzführungskommando ist dazu in enger Abstimmung mit dem Sanitätsamt der Bundeswehr und dem Sanitätsführungskommando ein Konzept erstellt worden. Dieses sieht neben der engen Beratung des Korpsarztes des 209 Korps der ANA durch den Medical Advisor, die Fortführung des OMLT-Einsatzes, die weitere Unterstützung des afghanischen Regionalkrankenhauses durch die Klinikkompanie des deutschen Einsatzlazarettes sowie das Partnering der Beweglichen Sanitätskompanien der Ausbildungsschutzbataillone (ASB) mit Einrichtungen des afghanischen Truppensanitätsdienstes vor. Um mehr afghanische Rettungssanitäter im RC North verfügbar zu machen, wird darüber hinaus die Rettungssanitäter- Ausbildung durch NTM-A in der Combat- Medic-School in Mazar-e-Sharif mit Ausbildern und Material unterstützt.

Dabei liegt ein besonderes Augenmerk darauf, keine überwiegend an deutschen Grundlagen orientierte Ausbildung der afghanischen Sanitätskräfte durchzuführen, sondern sich bezüglich der Inhalte an dem zu orientieren, was durch das Office des afghanischen Surgeon General und NTM-A an Inhalten vorgegeben wird, die umfassende Curricula für die Ausbildung erstellt haben und neben Ausbildungsmaterialien auch komplette Foliensätze für Unterrichte in Englisch und Dari zur Verfügung stellen.

Um möglichst viele Afghanen ausbilden zu können, wird die Weiterbildung von afghanischen Ausbildern im Vordergrund stehen („train the trainers“), die dann Inhalte als Multiplikatoren an viele weitergeben können und zudem allein für eine Nachhaltigkeit des Ausbildungsansatzes sorgen können.

Hier noch einmal ein Überblick über die Verantwortlichkeiten bei der Weiterentwicklung des afghanischen Sanitätsdienstes im RC North: Tabelle 1

Zur besseren Vorbereitung auf die Aufgaben im Bereich der Weiterentwicklung des afghanischen Sanitätsdienstes, wird neben dem Einführungsseminar, das das Sanitätskommando II als Leitkommando für den OMLT Einsatz durchführt, ein umfassendes neues Training an der Sanitätsakademie eingerichtet, dass neben vertiefenden sanitätsdienstlichen Anteilen (was soll den Afghanen vermittelt werden), vor allem Inhalte zu den Bereichen „Cultural Awareness“, Struktur und Funktion des afghanischen Sanitätsdienstes, Zusammenarbeit mit NTM-A und Verbündeten sowie Sprachausbildung inklusive eines Dari-Kurses enthält. Damit werden die in der Zukunft im Bereich der Weiterentwicklung des afghanischen Sanitätsdienstes eingesetzten Bundeswehrsoldaten zweifelsohne deutlich umfassender als bisher auf ihre schwierige und fordernde Aufgabe im Einsatzland vorbereitet werden.

Zusammenfassung

Der Aufbau eines leistungsfähigen afghanischen Sanitätsdienstes ist ein entscheidender Bestandteil des Auftrages des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Afghanistan. Er muss mit Fingerspitzengefühl und Verständnis für die afghanischen Besonderheiten und dennoch mit Nachdruck und Hartnäckigkeit in einem oft sehr schwierigen Umfeld durchgeführt werden und fordert von den in dieser Aufgabe eingesetzten Soldaten der Bundeswehr eine außergewöhnliche Leistungsbereitschaft, für die sie besonderen Dank und Anerkennung verdienen. Um ihnen die Aufgabe zu erleichtern, wird die Einsatzvorbereitende Ausbildung angepasst und erweitert. Nur wenn es gelingt, auf afghanische Seite sanitätsdienstliche Fähigkeiten in allen Bereichen weiter zu entwickeln, kann der Auftrag in Afghanistan als erfüllt und nachhaltig erfolgreich bewertet werden. Packen wir gemeinsam diese Aufgabe an!

Datum: 05.05.2011

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/1

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