05.04.2011 •

    RISIKOANALYSE DES DIENSTSPORTS - ERGEBNISSE DES GAMSIS I-STUDIE

    Aus dem Fachsanitätszentrum Augustdorf¹ (Leiter: Oberstarzt Dr. R. Sautter)

    von Stefan Sammito¹

    Zusammenfassung

    Hintergrund:

    Körperliche Leistungsfähigkeit ist neben der Beherrschung der infanteristischen Grundfertigkeiten eine der Voraussetzungen für ein erfolgreiches Bewältigen der Anforderungen im Einsatz.

    Der Dienstsport der Bundeswehr gemäß ZDv 3/10 stellt eine der Säulen zur Steigerung dieser körperlichen Leistungsfähigkeit dar. Bisher existierte jedoch keine auf direkter Datenbasis erhobene Risikoanalyse zum Verletzungsrisiko durch den Dienstsport in der Bundeswehr.

    Methoden:

    In einer einjährigen Studie wurden alle Verletzungen, die sich im Rahmen des Dienstsports in 22 Kompanien einer Panzerbrigade ereigneten, dokumentiert. Diese Verletzungen wurden in Bezug zu den gemeldeten Sportstunden und Teilnehmerzahlen gesetzt.

    Ergebnisse:

    Es konnten 269 Dienstsportverletzungen bei 178 853 Sportstunden erhoben werden. Mannschaftssportarten zeigten sich verletzungsträchtiger als Individualsportarten. Die Leistungstests (Physical-Fitness-Test und Deutsches Sportabzeichen) zeigten sich weniger verletzungsträchtig als angenommen.

    Schlussfolgerungen:

    Erstmalig liegen für den Dienstsport der Bundeswehr durch direkte Datenerhebung erfasste absolute und relative Verletzungszahlen vor. Diese müssen nun in die Sportkonzeptionen für eine verletzungsarme und mit geringeren Ausfallzeiten verbundene Ausbildung einfließen. 

    Risk assessment of the sport during military duty – results of the GAMSIS I-study*

    Summary Background:

    Physical fitness is an elementary condition for a successful accomplishment of military tasks and missions. The sport during military duty is one part to increase the physical fitness by way of physical education. For the German Armed Forces, injury rates by sport during military duty have not been scientifically assessed so far.

    Methods:

    In this one-year study in a German Armed Forces armoured brigade, every sportrelated injury on duty was recorded. Apart from the sport type, the duration of the athletic activity and the number of soldiers that took part in it were monitored.

    Results:

    Among the participants, who spent 178 853 hours, a total of 269 sport injuries were recorded. Team sports proved to be more dangerous than individual physical activity. The injury rates for the performance tests for physical fitness (Physical Fitness Test and German Sport Badge) are lower than supposed so far.

    Conclusions:

    This study is the first to allow a risk assessment for the sport in duty in the German Armed Forces in total as well as for different kinds of sport. Now this results have to implement into the physical education to decrease the injury dropouts by training.

    1. Einleitung

    Körperliche und mentale Leistungsfähigkeiten gelten als Voraussetzungen des Soldaten zur erfolgreichen Bewältigung eines Auslandseinsatzes [2]. Dabei sind die körperlichen Anforderungen bei infanteristischen Tätigkeiten durch das Tragen der umfangreicher gewordenen persönlichen Schutzausrüstung [6, 7] deutlich höher geworden. Die Einsatzrealität zeigt dies tagtäglich im Rahmen des ISAF-Einsatzes in Nordafghanistan (Abb 1).

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    Abb 1: Einsatzszenario der Bundeswehr, hier im abgesetzten Kampf im Rahmen der Internationalen Schutztruppe ISAF in Afghanistan (Bildquelle: BMVg)

    Der Dienstsport der Bundeswehr (Abb 2) ist gemäß Zentraler Dienstvorschrift 3/10 „Sport in der Bundeswehr“ [3] eine der Säulen, um die erforderliche körperliche Leistungsfähigkeit zu erreichen. Bisherige Erhebungen zu Verletzungen durch den Dienstsport [1, 4, 5, 10] konnten lediglich über Sekundärdaten (Fragebögen, Erhebungen des Instituts für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr) erhoben werden und zeigten eine hohe Prävalenz von Dienstsportverletzungen. Bisher existiert jedoch keine Risikoanalyse, die auf direkt gewonnenen Daten zur Verletzungshäufigkeit im Dienstsport mit Bezug zu den tatsächlich durchgeführten Dienstsportstunden beruht.

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    Abb 2: Dienstsport, hier Beachvolleyball an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf (Bildquelle: SportSBw)

    Ziel dieser Studie war es daher, Angaben zu Dienstsportverletzungen und der Sporthäufigkeit zu gewinnen und eine disziplinbezogene Risikobewertung der durchgeführten Mannschafts- und Individualsportarten erstmalig für den Dienstsport der Bundeswehr vorzunehmen.

    2. Methoden

    Im Rahmen der GAMSIS I-Studie (German Army military study about injury in sports) wurden hierzu an einem Großstandort einer Panzerbrigade mit über 3 000 Soldaten über ein Jahr alle Dienstsportverletzungen prospektiv dokumentiert. Diagnosen, Ausfallzeiten und durchgeführte Sportarten wurden zeitgleich mit einer Datenerfassung der durchgeführten Sportarten mit Dauer und Anzahl der Teilnehmer erfasst. Eine ausführliche Einleitung und Methodenbeschreibung findet sich in der im Druck befindlichen Publikation in „Sportverletzung Sportschaden“ [8].

    3. Ergebnisse

    Insgesamt konnten 178 853 Mannsportstunden und 269 Sportverletzungen erfasst werden (Tab 1).

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    Tab 1: Anzahl der durchgeführten Sportstunden und der Anzahl der erfassten Sportverletzungen, absteigend sortiert nach Anzahl der durchgeführten Sportstunden

    Laufen war hierbei mit Abstand die am meisten durchgeführte Sportart. Führend bei den absoluten Verletzungszahlen waren sowohl Fußball (98 Verletzungen) wie auch Laufen (87 Verletzungen). Auch in der relativen Verletzungshäufigkeit zeigte sich Fußball als verletzungsträchtig (6,20 Verletzungen/ 1 000 h), ähnlich wie die Mannschaftssportarten Basketball und Volleyball. Laufen, Schwimmen und Kraftsport weisen dagegen ein geringeres Verletzungsrisiko und auch geringere Ausfallzeiten pro Verletzung auf. Mannschaftsportarten hatten ein größeres relatives Verletzungsrisiko (3,22 bis 15,65 Verletzungen/1 000 h, im Schnitt 5,87 Verletzungen/1 000 h) als Individualsportarten (0,17 bis 1,62 Verletzungen/1 000 h, im Schnitt 0,65 Verletzungen/1 000 h) bei gleichzeitig erhöhten Ausfallraten (9,5 bis 11,3 Tage mit voller Verwendungsunfähigkeit gegenüber 0 bis 5,8 Tage mit voller Verwendungsunfähigkeit). Eine detaillierte Übersicht zeigt Tabelle 2.

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    Tab 2: Relatives Verletzungsrisiko bezogen auf 1 000 Stunden Dienstsport in der entsprechenden Disziplin beziehungsweise für die Gruppe der Individual- und Mannschaftssportarten und für die Leistungstest, Angabe der Tage der vollen Dienstunfähigkeit (vufg) und der eingeschränkten Dienstunfähigkeit (vfg (e)) pro Verletzung bzw. pro 1 000 Stunden Dienstsport in der entsprechenden Disziplin. *Da keine Befreiungen für die Schwimmsportverletzungen erfolgten, wurde eine relative Ausfallzeit pro 1 000 Stunden nicht berechnet.

     

    4. Diskussion

    Der Dienstsport der Bundeswehr stellt eine der Säulen zum Erlangen und Erhalten der „körperlichen Leistungsfähigkeit“ dar, die zur Erfüllung der körperlichen Anforderungen, gerade im Auslandseinsatz notwendig ist. Bisher existierte jedoch für den Dienstsport der Bundeswehr keine auf direkt ermittelten Daten basierende Risikobewertung. Aufgrund des hohen Transferverlusts bei der Übertragung einer sportlichen Leistungsfähigkeit auf eine „Einsatzfitness“ [10] ist jedoch eine entsprechende Risikobewertung für den Dienstsport elementar wichtig, um Verletzungen und Ausfallzeiten zu optimieren. Ergebnisse aus der Sportmedizin, ermittelt aus dem Amateur-, Vereinsund Profibereich, lassen sich nicht ohne weiteres auf den Dienstsport der Bundeswehr übertragen, da die Teilnehmer des Dienstsports zumeist in den durchgeführten Sportdisziplinen als nicht geübt eingestuft werden müssen.

    5. Schlussfolgerungen

    Mit den hier vorgestellten Daten können nun erstmalig für den Dienstsport der Bundeswehr Zahlen zum relativen Verletzungsrisiko geliefert werden. Mannschaftssportarten zeigten sich dabei verletzungsträchtiger als Individualsportarten. Dennoch lag das Verletzungsrisiko insgesamt niedriger, sowohl für die Mannschafts- als auch für die Individualsportarten, als bisher aus den disziplinbezogenen Untersuchungen aus der Sportmedizin bekannt war. Die Leistungstests Deutsches Sportabzeichen und der 2008 noch durchzuführende Physical-Fitness-Test wiesen ein geringeres Verletzungsrisiko auf, als bisher angenommen. In einem Vergleich mit der „Grünen Ausbildung“ mit Gefechtsdienst, Waffenausbildung, Hindernisbahn und ABC-Ausbildung [9] zeigten sich Mannschaftssportarten als verletzungsanfälliger, Individualsportarten als verletzungsärmer.

    Trotz der erfolgten Risikobewertung ist die Kenntnis von Unfallschwerpunkten und -gründen zur weiteren sinnvollen Unfallprävention notwendig. Diese Daten wird die Folgestudie GAMSIS II ab Frühjahr 2011 liefern können. In einem Verbund aus Disziplinarvorgesetzten, Sportoffizieren, Übungsleitern und Truppenärzten kann aber schon heute durch Auswahl unfallarmer Sportarten und durch Beratung und Aufklärung ein verletzungsarmer Dienstsport durchgeführt werden.

     

    * Basierend auf dem Postervortrag, der anlässlich des 41. Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (30. September bis 02. Oktober 2010) in Würzburg den 1. Preis erhielt.

     

    Literatur:

    1. Ammen M, Ulmer HV: Zum gesundheitlichen Risiko des Dienstsport der Bundeswehr (Poster). Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie, Potsdam 7.-10. Nov. 2002. In: Doll D, Weinrich M, Kating W (Hrsg.) Militärmedizin 2002. Zuhause – unterwegs – im Einsatz. Beta-Verlag, Bonn 2003: 141.
    2. Bundesministerium der Verteidigung: Weisung zur Ausbildung und zum Erhalt der Individuellen Grundfertigkeiten (Weisung IGF). Berlin, 2009.
    3. Bundesministerium der Verteidigung. ZDv 3/10 Sport in der Bundeswehr. Bonn, 2004.
    4. Butz O, Ulmer HV: Zum Sportunfallgeschehen beim Dienstsport der deutschen Bundeswehr mit speziellem Bezug zum Einsatz der Fachberater Sport. Schweiz. Z. Militär-Katastrophenmed. 1997; 74: 19-21.
    5. Erley OM: Sport und Sportverletzungen im Bereich der Bundeswehr am Beispiel einer Regionalstudie. Inauguraldissertation. Fachbereich Medizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, 1993.
    6. Rohde U, Erley O, Rüther M, Wunderlich M, Leyk D: Leistungsanforderungen bei typischen soldatischen Einsatzbelastungen. Wehrmed Mschr 2007; 51 (5-6): 138-142.
    7. Sammito S: Kardiales Belastungsprofil eines Militärnotarztes (BAT-Arzt) im Rahmen des Afghanistanauslandseinsatzes – Eine Pilot-Studie. Vortrag auf dem 12. Symposium „Arbeitsmedizin für Nachwuchswissenschaftler“, Schwerte 14.-16.11.2008.
    8. Sammito S: Sportverletzungen beim Dienstsport – eine Risikobewertung. Sportverl Sportschad 2010: im Druck.
    9. Sammito S: Verletzungsrisiko während der „Grünen Ausbildung“. Postervortrag auf dem 41. Jahreskongress der Dt. Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie, Würzburg 30. September – 02. Oktober 2010.
    10. Ulmer HV: Optimierung der militärischen Fitness. Vortrag auf dem 33. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie am 8.11.2002. Potsdam. Auch als URL: http://www.uni-mainz.de/FB/Sport/physio/pdffiles/350MILFopti03.pdf (Stand: 14. April 2003, Letzte Abfrage: 28. April 2009)

    Datum: 05.04.2011

    Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/1

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