DIAGNOSTIK UND THERAPIE PENETRIERENDER SCHUSSVERLEUTZUNGEN IM HALSBEREICH (FALLBERICHT UND LITERATURÜBERSICHT)

Aus der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde /Kopf- und Halschirurgie¹ , (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. H. Maier) und der Abteilung Radiologie² (Leitender Arzt: Oberstarzt Dr. B. Danz) am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Chefarzt: Generalarzt Prof. Dr. Dr. E. Grunwald)



von Heinz Maier¹, Matthias Tisch¹, Silke Steinhoff² und Kai J. Lorenz¹

Zusammenfassung

Penetrierende Schussverletzungen im Halsbereich stellen eine besondere Herausforderung für den Kopf- / Halschirurgen im Einsatz dar. Anhand einer Literaturübersicht und eines Fallbeispiels werden Diagnostik und Therapie von penetrierenden Schuss- und Splitterverletzungen der Zone II dargestellt.

Diagnosis and therapy of penetrating gunshot trauma of the neck (Case report and survey of literature)

Summary
Penetrating neck injuries present a challenge for head and neck surgeons in military missions. By means of a case report and a review of the literature, principles of diagnosis and treatment of penetrating zone II neck injuries due to gunshots or shrapnels are described.

Einleitung

Schuss- und Splitterverletzungen im Kopf- und Halsbereich im Rahmen kriegerischer Auseinandersetzungen haben im Verlauf der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen (15, 19, 20)

Durch die Lokalisation lebenswichtiger Strukturen auf engem Raum sind Halsverletzungen durch Projektile oder Schrapnells besonders problematisch. Bei penetrierenden Halstraumen muss grundsätzlich an eine Verletzung von großen Halsgefäßen, Larynx, Trachea, Pharynx, Ösophagus und Halswirbelsäule gedacht werden. Besonders schwerwiegend sind hierbei Verletzungen durch Hochrasanzgeschosse. Hierbei kommt es nicht nur zur Traumatisierung im Bereich von Ein- und Ausschusswunden oder Schusskanal sondern durch Schockwellen und Kavitation auch zu einer Schädigung des umgebenden Gewebes.

Die Versorgung derartiger Verletzungen ist komplex und stellt eine besondere Herausforderung für den Kopf-/Halschirurgen dar. Man unterscheidet hierbei aus anatomischer Sicht drei Verletzungszonen. Die Zone I schließt den Bereich vom Schlüsselbein bis zum Ringknorpel, die Zone II den Bereich vom Ringknorpel bis zum Kieferwinkel und die Zone III den Bereich vom Kieferwinkel bis zur Schädelbasis ein.

In der vorliegenden Arbeit werden anhand eines Fallbeispiels und einer Literaturübersicht die wesentlichen Aspekte für die Diagnostik und Therapie von Schuss- und Splitterverletzungen im Bereich der Verletzungszone II dargestellt.

Fallbeispiel

Ein circa 45 Jahre alter afghanischer Soldat erlitt im Rahmen eines Selbstmordattentates eine perforierende Halsverletzung. Unmittelbar nach dem Anschlag erfolgte vor Ort die primäre Wundversorgung. Da sich eine Intubation infolge ausgedehnter Halsverletzungen schwierig gestaltete, erfolgte zusätzlich eine Notfalltracheotomie. Zur definitiven Versorgung wurde der Verletzte danach in das deutsche Einsatzlazarett in Mazar-e-Sharif verlegt, wo er 36 Stunden später intubiert und beatmet eintraf (Abb 1aund b).

Bei der Erstuntersuchung fand sich eine Einschusswunde in der Halsmitte in Höhe des Zungenbeins. Die Ausschusswunde lag oberhalb des Schulterblatts rechts im Bereich des M. trapezius. In beide Wunden waren Drainagen eingenäht. Zur Sicherung des Atemweges war ein klassisches Tracheostoma angelegt worden. Der Hals war deutlich angeschwollen und mit einer HWSSchiene (Stifneck®, Laerdal Medical GmbH, Puchheim, BRD) versorgt. Es bestand ein ausgedehntes Luftemphysem.

Zur weiteren Diagnostik erfolgten eine Computertomographie (CT) des Halses und eine CT-Angiographie. Neben einem massiven Luftemphysem zeigten sich eine Frakturierung der rechten Schildknorpelhälfte (Abb 2 a undb) sowie eine rechtsseitige Destruktion der Querfortsätze im Bereich HWK 5/6. In der CT-Angiographie war ein Verschluss der rechten Art. vertebralis auf der Höhe des HWK 5/6 nachweisbar ( Abb 3).

Aufgrund der ausgedehnten penetrierenden Halsverletzung wurde die Indikation zur chirurgischen Intervention gestellt. Da infolge des erheblichen Traumas im Larynx- und Pharynxbereich mit einer längerfristigen Atemund Schluckproblematik zu rechnen war, wurde zunächst das notfallmäßig angelegte klassische Tracheostoma in ein plastisches Tracheostoma umgewandelt. Nach Entfernung der blockierbaren Trachealkanüle zeigte sich ein tief liegendes Tracheostoma mit erheblich traumatisierten, längs inzidierten Trachealspangen 2-4. Nach Entfernung nekrotischer Gewebeanteile wurden die peristomalen Hautareale mobilisiert und über die freien Trachealknorpelränder genäht ( Abb 4). Anschließend erfolgte über einen latero-zervikalen Zugang rechts, der die Einschusswunde einbezog, eine Revision des Schusskanals (Abb 5). Hierbei zeigte sich eine Perforation des Pharynx im Zungengrundbereich rechts. Das Zungenbein und die rechtsseitigen Schildknorpelanteile waren partiell destruiert. Die aryepiglottische Falte und das rechte Taschenband waren zerfetzt, entsprechend einem Kehlkopftrauma Grad 4 nach Schaefer [17]. Im Bereich des Sinus piriformis rechts oberhalb des Ösophagusmundes imponierte ein Schleimhautdefekt. Hier war das Projektil erneut in die Halsweichteile eingetreten, hatte zwei Querfortsätze (HWK 5/6) frakturiert, den Plexus brachialis rupturiert und war nach Perforation des M. trapezius oberhalb des Schulterblattes rechts ausgetreten. Infolge der Latenzzeit von etwa 36 Stunden nach dem Trauma war es, bedingt durch Speichel und bakterielle Kontamination, zu einer Mazeration und entzündlichen Reaktion der Halsweichteile gekommen.

Zunächst wurde der Schusskanal soweit wie möglich von nekrotischem Gewebe débridiert. Anschließend erfolgte die Rekonstruktion von Schildknorpel, Taschenband und aryepiglottischer Falte rechts. Danach wurde der Schleimhautdefekt im Bereich des Hypopharynx rechts verschlossen. Auf Grund der postoperativ zu erwartenden längerfristigen Schluckstörung und um das Risiko einer pharyngo-kutanen Fistelbildung zu senken, wurde unter Sicht eine nasogastrale Sonde gelegt. Danach erfolgte ein mehrschichtiger Wundverschluss. Auf die Rekonstruktion des Plexus brachialis wurde wegen des ausgedehnten Traumas und der insgesamt schlechten funktionellen Prognose verzichtet.

Die Ausschussöffnung wurde mit Betaisadona- Lösung gespült und in den Schusskanal wurde ein gentamycinhaltiger Kollagenschwamm (GENTA-COLL resorb?, Fa. Resorba Wundversorgung GmbH, Nürnberg, BRD) eingebracht. Eine antibiotische Therapie mit Amoxicillin/ Clavulansäure erfolgte über 10 Tage.

Der postoperative Verlauf war regelrecht. Bereits 5 Tage postoperativ (p. o.) war der Patient wieder in der Lage zu phonieren (Abb 6). Eine Ösophagusbrei- Schluckuntersuchung am 7. p. o. Tag lieferte keine Hinweise auf Aspiration oder Fistelbildung. Am 14. p. o. Tag konnte das Tracheostoma verschlossen werden und am 16. p. o. Tag erfolgte die Entlassung bei gutem Allgemeinzustand. Es bestanden lediglich noch eine mittelgradige Heiserkeit und eine traumabedingte Plexuslähmung rechts.

Diskussion

Penetrierende Schuss- und Splitterverletzungen im Halsbereich stellen aufgrund der engen Nachbarschaft lebenswichtiger anatomischer Strukturen eine besondere Herausforderung dar. Neben der Lokalisation der Verletzung spielen der Schädigungsmechanismus und der klinische Befund eine wesentliche Rolle.

Als Erstmaßnahmen stehen die Sicherung des Atemweges und die Blutstillung im Vordergrund.

Bestehen bei ansprechbarem Patienten eine Dyspnoe und/oder sonstige Hinweise für eine Verletzung der oberen Luftwege, zum Beispiel subkutanes Emphysem oder Heiserkeit, sollte frühzeitig eine Sicherung der Atemwege, vorzugsweise durch eine Intubation, erfolgen. Hier muss vor allem die Tatsache berücksichtigt werden, dass eine Weichteilschwellung oder ein expandierendes Hämatom rasch zu einer Verlegung des Luftweges führen können [3]. Starke Blutungen im Rachenbereich, dislozierte Kehlkopffrakturen oder Teilabrisse der Trachea können die Intubation schwierig gestalten. In diesen Fällen darf insbesondere beim bewusstlosen Patienten keine Zeit verloren werden. Hier muss einer Koniotomie oder Tracheotomie der Vorzug gegeben werden. Diese Vorgehensweise dürfte im geschilderten Fallbeispiel lebensrettend gewesen sein.

Bei einer Halsverletzung mit breiter Eröffnung der oberen Luftwege kann ein blockierbarer Tubus auch direkt über die Wunde in die Trachea eingebracht und bis zur definitiven Versorgung dort belassen werden.

Blutungen können insbesondere bei Verletzung größerer Halsgefäße rasch lebensbedrohlich werden und sind sofort zu versorgen. Letzteres kann notfallmäßig über Kompression, Tamponade oder über eine Exploration der Halswunde und Ligatur beziehungsweise chirurgische Versorgung des betroffenen Gefäßes erfolgen. Eine zusätzliche Möglichkeit zur notfallmäßigen Blutstillung stellt das Einbringen von Ballonkathetern in den Schusskanal dar. Hierzu eignen sich zum Beispiel 20 F Foley-Katheter, die mit 20 ml Kochsalz gefüllt werden und blutende Gefäße im Schusskanal komprimieren können [14]. Dies ist insbesondere in Kriegs- und Krisengebieten von Bedeutung, wenn mit einer vergleichsweise langen Latenz vom Zeitpunkt der Primärversorgung bis zur definitiven Versorgung gerechnet werden muss. Im geschilderten Fallbeispiel betrug diese Zeitspanne immerhin circa 36 Stunden.

Da penetrierende Halsverletzungen durch Geschosse nicht selten mit Verletzungen der Halswirbelsäule einhergehen, ist eine Stabilisierung mittels einer HWS-Schiene (Stifneck®) dringend zu empfehlen.

Nach der Erstversorgung sollte der Verletzte umgehend zur weiteren Diagnostik und Therapie in eine geeignete Klinik transportiert werden. Erhebliche Latenzzeiten zwischen Trauma und klinischer Versorgung sind vor allem bei Verletzungen des Pharynx und/oder des zervikalen Ösophagus und dem damit verbundenen Austritt bakteriell kontaminierten Speichels in das Weichteilgewebe mit einem erhöhten Infektionsrisiko belastet.

Bei nicht intubierten wachen Patienten sollte zunächst eine gezielte Anamnese und klinische Untersuchung erfolgen. Dabei ist insbesondere nach Schluckbeschwerden, Heiserkeit und neurologischen Defiziten zu fahnden. Ein palpatorisch fassbares subkutanes Emphysem im Bereich der Halsweichteile deutet auf eine Verletzung von Larynx und/oder Trachea hin. Differenzialdiagnostisch muss jedoch auch ein Pneumothorax in Erwägung gezogen werden. Pulsierende Hämatome sind ein wichtiger Hinweis für gedeckte Gefäßverletzungen. Bei Verletzungen durch Hochrasanzgeschosse treten in der Umgebung des Schusskanals durch Schockwellen erhebliche Gewebsschäden auf [4], die auch benachbarte Gefäße betreffen können. Entsprechend muss mit dem Auftreten von Thrombosen, Embolien und vor allem Pseudoaneurysmen gerechnet werden. Cox et al. [2] beschrieben bei 11 von 124 Patienten, die im Zeitraum von Februar 2003 bis März 2007 wegen einer penetrierenden Schuss- oder Splitterverletzung im Halsbereich versorgt wurden, Pseudoaneurysmen der A. carotis interna, der A. carotis externa oder der A. vertebralis.

Mit Hilfe der Lupenlaryngoskopie können beim wachen Patienten Verletzungen im Bereich von Pharynx und Larynx diagnostiziert werden.

Unter den bildgebenden Verfahren steht die CT-Angiographie (CTA) im Vordergrund, die neben Weichteil-, Knorpel- und Knochenverletzungen auch Gefäßläsionen, wie Pseudoaneurysmen, Dissektionen und Gefäßverschlüsse, erkennen lässt,. Darüber hinaus kann die CTA wichtige Informationen über den Verlauf des Schusskanals liefern. Daher ist es wichtig, dass dieses bildgebende Verfahren, das in westlichen Industrieländern in fast allen klinischen Einrichtungen vorhanden ist, auch in Einsatzlazaretten in Kriegsund Krisengebieten zur Verfügung steht (Abb 7). Dies wird durch das Fallbeispiel verdeutlicht. Erst durch die CTA konnte neben den Verletzungen im Bereich von Pharynx, Larynx und Halswirbelsäule der Verschluss der ipsilateralen A. vertebralis diagnostiziert werden.

Während Verletzungen des Kehlkopfs und der Trachea nur selten übersehen werden, können umschriebene Läsionen im Bereich des Hypopharynx und Ösophagus diagnostische Probleme bereiten. Daher sollten zur Therapieplanung unbedingt eine Ösophagoskopie oder (beim wachen Patienten) eine Ösophagusbrei-Schluckuntersuchung durchgeführt werden.

Schuss- bzw. Splitterverletzungen sind in der Regel bakteriell kontaminiert. Die prophylaktische Gabe von Antibiotika wird allerdings bei Geschossen mit niedriger Energie zum Teil kontrovers diskutiert [12]. Bei Verletzungen durch Hochrasanzgeschosse, bei denen es zu einer Zerstörung und Devaskularisation des Gewebes in der Umgebung des primären Schusskanals kommt, sollte grundsätzlich eine Antibiotikaprophylaxe erfolgen. Da häufig eine Infektion mit Staphylococcus aureus vorliegt, empfehlen wir die i. v.-Gabe eines Breitspektrum-Cephalosporins oder die Kombination von Amoxicillin und Clavulansäure. Als Basis für eine adäquate antibiotische Therapie sollte grundsätzlich aus dem Schusskanal ein Abstrich für die mikrobiologische Diagnostik und Resistenztestung gewonnen werden. Gerade in Kriegs- und Krisengebieten, wie zum Beispiel Afghanistan, muss mit Wundinfektionen durch multiresistente Keime gerechnet werden [12, 13].

Wenn die oben aufgeführten diagnostischen Verfahren keine Hinweise auf schwerwiegende Verletzungen im Halsbereich liefern, stellt sich die Frage, inwieweit eine chirurgische Exploration der Schusswunde erforderlich ist.Während früher bei einer Penetration des Platysmas obligatorisch eine chirurgische Exploration des Schusskanals gefordert wurde, empfehlen heute verschiedene Autoren insbesondere bei Verletzungen der Halsregion II eher ein konservatives Vorgehen mit einer engmaschigen Überwachung der Patienten (sogenanntes „selektives Management“) [3, 18]. In Fällen, in denen man sich für ein selektives Management entschließt, sollten nach unserer Einschätzung der Schusskanal zumindest mit einer Bürste oder einem scharfen Löffel soweit wie möglich gereinigt und die Wunde ausgiebig gespült werden. Darüber hinaus empfehlen wir, einen gentamycinhaltigen Kollagenschwamm in den Schusskanal einzubringen.

Bei relevanten Halsverletzungen, vor allem mit Beteiligung von Kehlkopf, Trachea und Pharynx, ist eine chirurgische Exploration unabdingbar. Falls der Patient wegen Verletzung im Bereich des oberen Atem- und Verdauungstraktes notfallmäßig koniotomiert wurde, muss die Koniotomie so rasch wie möglich in eine Tracheotomie umgewandelt werden. Dies ist erforderlich, um das Risiko einer Perichondritis des Ringknorpel und damit einer konsekutiven subglottischen Stenose zu verringern.

Wenn Verletzungen des Luft- und Speiseweges vorliegen, bei denen postoperativ längerfristig mit Atem- und Schluckproblemen zu rechnen ist, sollte ein plastisches Tracheostoma angelegt werden. Ein plastisches Tracheostoma erlaubt im Vergleich zum klassischen Tracheostoma einen einfacheren Kanülenwechsel und ist leichter zu pflegen. Dies ist insbesondere bei Patienten von Bedeutung, bei denen zumindest temporär mit einer Aspirationsproblematik gerechnet werden muss.

Als nächster Schritt sollten eine Stützlaryngoskopie, Hypopharyngoskopie, Ösophagoskopie und gegebenenfalls eine Tracheobronchoskopie erfolgen, um das Ausmaß der Verletzungen festzustellen. Ohne diese diagnostischen Maßnahmen können insbesondere Verletzungen im Bereich des Ösophagus, die möglichst rasch – spätestens innerhalb von 24 Stunden – versorgt werden müssen, leicht übersehen werden [1, 3]. Unversorgte Verletzungen im Bereich des zervikalen Ösophagus sind mit einem hohen Risiko für die Entstehung einer lebensbedrohlichen Mediastinitis assoziiert.

Die Therapie von Hypopharynxverletzungen wird derzeit kontrovers diskutiert. Während in früheren Jahren ausnahmslos eine chirurgische Versorgung erfolgte, empfiehlt mittlerweile eine Reihe von Autoren zumindest in bestimmten Fällen ein konservatives Vorgehen [21]. Nach unserer Einschätzung sollte bei ausgedehnte Läsionen im Bereich des Hypopharynx, vor allem in der Nähe des Ösophagusmundes, eine chirurgische Versorgung erfolgen. Bei unversorgten derartigen Verletzungen ist das Risiko von Komplikationen, wie Abszessbildung, Mediastinitis oder Vernarbungen mit konsekutiver Beeinträchtigung des Schluckvermögens, nicht gering. Dies gilt insbesondere für Schussverletzungen durch Hochrasanzgeschosse mit erheblichem begleitendem Weichteiltrauma.

In derartigen Fällen sollte intraoperativ eine nasogastrale Sonde, die für die Dauer von mindestens 7 Tagen belassen wird, gelegt werden.

Wenn Hinweise für eine Verletzung des Larynx oder der Trachea im Rahmen einer penetrierenden Halsverletzung vorliegen, wie im geschilderten Fallbeispiel, empfiehlt sich nach unserer Einschätzung grundsätzlich eine chirurgische Exploration [9]. Derartige Verletzungen sind zwar insgesamt selten (circa 4 %) [10], gehen aber mit einer hohen Letalität einher [11]. Besonderes Augenmerk gilt der Tatsache, dass bei einem hohen Prozentsatz (33 bis 50 %) der Patienten mit penetrierenden laryngotrachealen Verletzungen begleitende Traumen des Ösophagus vorliegen [8].

Kehlkopfverletzungen sollten möglichst frühzeitig versorgt werden. Ziel ist es dabei einerseits, ein stabiles Kehlkopfskelett wiederherzustellen. Andererseits gilt es, die intralaryngeale Schleimhaut zu rekonstruieren, um einer unerwünschten Narbenbildung mit konsekutiver Beeinträchtigung von Atmung, Stimme und Sphinkterfunktion vorzubeugen [7]. Hierbei erfolgt zunächst ein vorsichtiges Débridement. Danach werden intralaryngeale Schleimhautverletzungen versorgt. Anschließend wird das Kehlkopfskelett rekonstruiert. Knorpelfragmente können dabei entweder mit Nähten oder mit Miniplatten adaptiert werden. Bei der Verwendung von Nähten empfiehlt es sich, feine Löcher vorzubohren, während beim Einsatz von Miniplatten gewindeschneidende Schrauben direkt in den Knorpel eingebracht werden [5]. Wenn verfügbar, können anstelle von Titanplatten resorbierbare Miniplatten und Schrauben [16] verwendet werden. Titanplatten können nach 2 bis 3 Monaten wieder entfernt werden. Bei ausgedehnten Trümmerfrakturen kann zur Prävention von Stenosen der Einsatz endolaryngealer Stents über einen Zeitraum von bis zu 6 Wochen erforderlich werden [6]. Sind kommerzielle vorgefertigt Stents nicht verfügbar, können selbst gefertigte Stents aus Schaumstoff und Gummifingerlingen verwendet werden. Auch Trachealverletzungen sollten umgehend primär versorgt werden. Kleine Defekte können dabei direkt adaptiert werden. Bei größeren Defekten wird häufig eine Mobilisierung der Trachea bzw. des Kehlkopfes erforderlich.

Neben den notfallmäßig zu versorgenden Gefäßverletzungen finden sich bei penetrierenden Halsverletzungen durch Hochrasanzgeschosse häufig Pseudoaneurysmen, die erst nach ausführlicher Diagnostik realisiert werden. Während früher vor allem bei iatrogen verursachten Pseudoaneurysmen aufgrund der hohen Rate an Spontanverschlüssen von einer Therapie abgesehen wurde, wird aufgrund der Erfahrungen aus den Kriegen im Irak und in Afghanistan bei ausgedehnten Blutungsereignissen eine Therapie empfohlen [2]. Neben einer offenen angioplastischen Versorgung oder Ligatur kommen endovaskuläre Verfahren (Coiling, Stents) in Frage.

Im Rahmen von Schuss- und Splitterverletzungen im Bereich der Zone II muss auch mit Nervenläsionen gerechnet werden. Im geschilderten Fall war es zu einer Verletzung des Plexus brachialis gekommen. Grundsätzlich sollte, wenn möglich, eine Rekonstruktion der verletzten Nervenstrukturen angestrebt werden. Kim et al [8] beschrieben bei mehr als der Hälfte der Patienten mit Plexusverletzungen durch Projektile, die neurochirurgisch versorgt wurden, postoperativ akzeptable funktionelle Ergebnisse. Da die betroffenen Patienten bei der stationären Aufnahme häufig nicht ansprechbar sind, werden neurologische Defizite meist erst postoperativ diagnostiziert. Die Versorgung der Nervenverletzung kann dann in einem zweiten Schritt in einem für derartige Eingriffe spezialisierten Zentrum erfolgen. Einschränkend muss jedoch festgestellt werden, dass ausgedehnte Nervenverletzungen durch Hochrasanzgeschosse meist eine eher schlechte funktionelle Prognose aufweisen.

Wenn Abschnitte des Schusskanals nicht chirurgisch revidiert werden, wie zum Beispiel der Ausschuss im vorgestellten Fallbeispiel, wird dieser offen behandelt. Neben einer vorsichtigen Kürettage empfehlen wir, eine Spülung mit Betaisodona-Lösung vorzunehmen und gentamycinhaltigen Kollagenschwamm einzubringen.

Bildquelle:
Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde / Kopf- und Halschirurgie am Bundeswehrkrankenhaus Ulm

Literatur 

  1. Asensio JA, Berne J, Demetriades D et al.: Penetrating esophageal injuries: time interval of safety for preoperative evaluation – how long is safe ? J Trauma 1997; 43: 319-323. 
  2. Cox MW, Whittaker DR, Martinez C, Fox CJ, Feuerstein IM, Gillespie DL Traumatic pseudoaneurysms of the head and neck: Early endovascular intervention. J Vasc Surg 2007; 46: 1227-1233. 
  3. Degiannis E, Bonanno F, Titius W, Smith M, Doll D: Behandlung von penetrierenden Verletzungen an Hals, Thorax und Extremitäten. Chirurg 2005; 76: 945-958. 
  4. Doctor VS, Farwell DG: Gunshot wounds to the head and neck Curr Oppin Otolaryngol Head Neck Surg 2007; 15: 213-218. 
  5. Ernst A, Herzog M, Seidl RO (Hrsg.): Traumatologie des Kopf-Hals-Bereichs. Stuttgart - New York: Georg Thieme Verlag, 2003; 208-211. 
  6. Hwang SY, Yeak SCL: Management dilemmas in laryngeal trauma. J Laryngol Otol 2004; 118: 325-328. 
  7. Juutilainen M, Vintturi J, Robinson S, Bäck L, Lehtonen H, Mäkitie AA: Laryngeal fractures: clinical findings and consideration on suboptimal outcome. Acta Otolaryngol 2008; 128: 213-218. 
  8. Kim DH, Murovic JA, Tiel RL, Kline DG: Penetrating injuries due to gunshot wounds involving the brachial plexus. Neurosurg Focus 2004; 16 (5): E3. 
  9. LeMay SR Penetrating wounds of the larynx and the cervical trachea. Arch Otolaryngol 1971; 94: 558-564. 
  10.  Minard K, Kudsk KA, Croce MA, Butts JA, Cicalla RS, Fabian TC (1992) Laryngeotracheal trauma. Am J Surg 58: 181-187.
  11. Mulder DS, Barkun JS: Injury to the trachea, bronchus and esophagus. In: Moore EE, Mattox KL, Feliciano DV eds.: Trauma. Norwalk: Appelton & Lange 1991; 343-355. 
  12. Murray CK: Infectious disease complications of combat-related injuries. Crit Care Med 2008; 36: 358-364. 
  13. Petersen K, Hayes DK, Blice JP, Hale RG: Prevention and management of infections associated with combat-related head and neck injuries. J Trauma 2008; 64: 265-276. 
  14. Rezende-Neto J, Marques AC, Guedes LJ, Teixeira LC: Damage control principles applied to penetrating neck and mandibular injury. J Trauma 2008; 64: 1142-1143.

Datum: 01.03.2011

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/1

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