PLAZENTA PRAEVIA UND KONSEKUTIVE SECTIO

Eine besondere Herausforderung für das Einsatzlazarett

Im Regelbetrieb eines Einsatzlazarettes (ELAZ) der NATO Ebene 3 oder Ebene 2 sind üblicherweise keine Gynäkologen vorgesehen, da die Soldatinnen der teilnehmenden Nationen bereits vor dem Einsatz zu einer frauenärztlichen Untersuchung angehalten werden. Wohl aber wurde im Zuge der Erstellung der Grundausstattung eines Feldlazarettes oder ELAZ seitens der Konsiliargruppen ein gynäkologisches Grundsieb vorgesehen.

Für Notfälle steht dem ELAZ ein Vertragsgynäkologe aus Prizren zur Verfügung, der in Deutschland studiert und eine Zeit lang gearbeitet hat. Für geburtshilfliche Eventualitäten wurden allerdings keine Vorkehrungen getroffen. Intensivmedizinischerseits besteht mit dem Beatmungsgerät EVITA 4 die Möglichkeit, Neonaten zu versorgen; hiefür gibt es planmäßig auch die entsprechenden Tuben.

Kasuistik

Am 15. April erhielt die Notaufnahme des ELAZ des Sanitätseinsatzverbandes (San- EinsVbd) KFOR gegen 19.00 den Anruf einer Ärztin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dass eine ihrer Diplomaten mit einer seit Monaten diagnostizierten, nun seit einem Tag blutenden Plazenta Praevia am Ende der 35. Schwangerschaftswoche in einer Privatklinik in der Nähe von Pristina liege. Das dortige Personal sei fachlich und technisch mit dieser Situation überfordert und bat um Unterstützung durch das ELAZ.

Zusätzlich erhielt das Personal der Notaufnahme die Information, dass es sich um eine Diplomatin aus dem EU Raum handelte, und dass die Patientin sich auf keinen Fall in ein lokales Krankenhaus auf eine Intensivstation einliefern lassen wollte. Weitergehende Informationen waren von der Ärztin und dem Gynäkologen der Privatklinik nicht zu erhalten. Nach Beratung aller Fachärzte und aktiver Einbeziehung des Kommandeurs SanEinsVbd und Leitenden Sanitätsoffiziers (LSO) wurde dann beschlossen und seitens des LSO genehmigt, ein Team, bestehend aus dem Leiter der Anästhesie und des Vertragsgynäkologen des ELAZ, in diese Klinik in der Nähe von Pristina zu schicken, um die Situation vor Ort zu klären. Hierzu wurde der Gynäkologe in Prizren alarmiert. Bis zu seinem Eintreffen im ELAZ wurde alles für den Konvoi vorbereitet.

Ein SAN TPZ Fuchs der MEDEVAC Kompanie mit voller Besatzung, um die Patientin eventuell möglichst erschütterungsfrei verlegen zu können; ein Notarztteam mit ausreichenden Blutkonserven, einem geburtshilflichen Operationsbesteck sowie zusätzlich einem Anästhesiepfleger und einem Chirurgen, um eine eventuelle Notoperation vor Ort mit eigener Ausrüstung durchführen zu können. Nach abschließender Lageeinweisung verließ der Konvoi um 20.00 Uhr das Feldlager und erreichte die Klinik im ersten Anfahrversuch um 21.40 Uhr. Unserem gynäkologischen Vertragsarzt war die Lage der Patientin nach kurzer und gründlicher Untersuchung klar. Die Patientin benötigte dringend eine Intensivstation zur Überwachung ihres Zustandes, es bestand zu diesem Zeitpunkt keine Blutung mehr.

Serumhämatokrit und - hämoglobin waren auf niedrigem Normalniveau. Es wurde nun vor Ort versucht, eine internationale Flugrettung über die problematischen medizinischen Verhältnisse im Kosovo (keine sichere Blutbank, mangelnde Hygiene und fehlende fachliche Sicherheit des örtlichen Personals) ins Bild zu setzen. Aufgrund der immanenten Blutungsgefahr wurde ein Transport via Flugzeug in das Heimatland von der vertraglich verpflichteten Luftrettung der OSZE abgelehnt, ebenso wurde dies durch eine private Versicherung der Patientin verweigert.

Jedoch wurde angeboten, nach der Entbindung für eine Rückführung in die Heimat zur Verfügung zu stehen. Das half dem Notfallteam vor Ort nicht wirklich, deshalb wurde nach telefonischer Rücksprache mit dem LSO beschlossen, die Patientin auf die Intensivstation des ELAZ zu verbringen, da keine andere medizinische und ethisch vertretbare Möglichkeit mehr bestand, die Patientin anderweitig zu versorgen. Da die Erschütterungen des Rettungshubschraubers schon eine massive Blutung hätten auslösen können, wurde die Patientin auf dem Landweg im SAN TPZ Fuchs verlegt. Der Konvoi verließ den Ort Gracanica gegen Mitternacht und erreichte in schonender Schleichfahrt um 03.00 das ELAZ (Abb. 1).
 

Präoperative Versorgung

Nach Ankunft im ELAZ erfolgte sofort eine nochmalige Ultraschalluntersuchung des Abdominalsitus und des Foeten, desweiteren eine laborchemische und serologische Untersuchung inklusive nochmaliger Bestimmung der Blutgruppe. Ab diesem Zeitpunkt wurden immer 6 Konserven a priori gekreuzt bereitgehalten. In den Folgetagen wurde die Patientin regelmäßig kontrolliert und dann seitens des Vertragsfrauenarztes die Entscheidung getroffen, das Kind, ein Mädchen mit Erreichen der 36. Schwangerschaftswoche (SSW) mittels Kaiserschnitt auf die Welt zu bringen. Zur Induktion der Lungenreife wurden einmalig 2 Ampullen 12.5 mg Aprednisolon am ersten Aufenthaltstag im ELAZ verabreicht. Ferner erhielt die Patientin im Dauertropf Phenoterol und Isoptin als Tocoloyticum. Mit einfachen Mitteln wurde ein provisorischer Brutkasten entwickelt (Abb. 2).

Dieser bestand aus einer ABC Wanne, einer großen Wärmelampe, vielen sterilen Leinentüchern, sterilen Abdecktüchern und einem mittelgroßen Rollwagen. Um nichts zu übersehen, wurden alle beteiligten Abteilungen des ELAZ am Vorabend der Entbindung zu einer Lagebesprechung einberufen, wo die geplante Sectio und deren Ablauf mit allen möglichen Komplikationen noch einmal durchgesprochen wurde.


Sektio caesarea und Postpartale Phase

Der Kaiserschnitt wurde unter Leitung des örtlichen Vertragsfrauenarztes im ELAZ in Spinalanästhesie durchgeführt. Intraoperativ erhielt die Patientin im Bolus und per infusionem Oxytocin zur Wehenanregung, Methergin zur Uteruskontraktion, sowie wegen des zu erwartenden und eingetretenen Blutverlusts zwei Erythrozytenkonzentrate, 28 µg Minirin und 1200 Einheiten PPSB. Es wurde ein äußerlich gesundes, 48 cm großes, 2700g schweres, spontanatmendes Mädchen geboren (Abb. 3 und 4). Der zusätzlich aus dem örtlichen Gesundheitssystem zugezogene Pädiater konnte erfreulicherweise auch keine weiteren Diagnosen stellen. Mutter und Kind waren post partum wohlauf und wurden auf die Normalstation verlegt.

Am vierten Tag nach der Entbindung wurden Mutter und Tochter mittels ziviler Luftrettung mit einem Notarzt/ Neonatologen Team vom ELAZ abgeholt und in eine Universitätsklinik im Heimatland transferiert. Mutter und Kind sind wohlauf.


Diskussion

Die Übernahme der Patientin aus dem weit entfernten Krankenhaus stellte für die beteiligten Fachärzte und den SanEinsatzverband ein großes, nicht abwälzbares Risiko dar. Einerseits befand sich die Patientin, wie auch die gängige Literatur belegt, in einem lebensbedrohlichen Zustand, der keinen weiteren Transport zuließ, andererseits war das KFOR Role 3 ELAZ auch verpflichtet, die Patientenversorgung zu übernehmen, da KFOR mit der OSZE einen Vertrag über die medizinische Versorgung von OSZE Mitarbeitern geschlossen hatte. Die Entscheidung für den schützenpanzergestützten Landtransport war für uns die einzig sichere Option, da in diesem durch die großen Ballonreifen die größte Erschütterungsfreiheit gegeben war, und für den Ernstfall - Blutungswiederauftreten oder Geburt - genügend Platz zur Verfügung stand, und auch im Notfall eine hohe Reisegeschwindigkeit mit hohem Eigenschutz zur Verfügung stand.

Das Einberufen einer Lagebesprechung mit allen beteiligten Abteilungen des ELAZ prae sectionem erwies sich ebenfalls als sehr hilfreich. Da die Sectio völlig außerhalb des ELAZ Normbetriebes war, konnte so aus dem Erfahrungsschatz jedes Einzelbereichs ein Input geholt werden. Dieses Verfahren wird für unvorhergesehene Situationen auch von Krisenstäben und Stableitstellen großer Unternehmen eingesetzt.

Durch die gedankliche Trennung des geburtshilflichen Vorganges in die Operation Mutter, Versorgung des Kindes und Labordiagnostik konnte in weniger als einer Stunde durch alle Beteiligten ein Handlungsplan erstellt, fehlende Utensilien organisiert, und durch die gemeinsame Planung Vertrauen in das positive Ende der Unternehmung vermittelt werden.

Es gelang so, am Operationstag einen im Großen und Ganzen fehlerfreien Verlauf durchzuorganisieren bis auf eine Sache: es fehlte das Längenmaßband. Es konnte aus der FU II (Chirurgie) besorgt werden (Abb. 5). Schlussfolgerungen Mit der vorhandenen Grundausrüstung ist materiell auch eine ausgefallene Notsectio durchführbar. Für den Erfolg des Unternehmens bedarf es aber einer genauen Vorausplanung aller erdenklichen Eventualitäten und es bedarf einer Evakuierungsmöglichkeit post partum. Ohne diese Möglichkeit wäre das ELAZ pflegerisch und medizinisch in kurzer Zeit an die Grenze seiner Kapazitäten gestoßen.



 

Datum: 11.03.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/2

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