Sanitätsausbildung für Spezial- und spezialisierte Kräfte

Am Ausbildungszentrum Spezielle Operationen (AusbZSpezlOp), der ehemaligen internationalen Fernspähschule, wird Nichtsanitätspersonal der Spezial- und spezialisierten Kräfte, im Sprachgebrauch auch „Operator“ genannt, in erweiterten sanitätsdienstlichen Maßnahmen im Rahmen der Notkompetenz unter bestimmten operativen Rahmenbedingungen ausgebildet.

Das AusbZSpezlOp ist am 01.04.2003 aus der weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannten Internationalen Fernspähschule, die seit jeher für innovative Ausbildung stand, hervorgegangen. Am Standort Pfullendorf, wenige Kilometer nördlich des Bodensees gelegen, hat sich das AusbZSpezlOp zur zentralen Ausbildungsstätte des Heeres für Spezial- und Spezialisierte Kräfte – mit internationalem Anteil – entwickelt.
Das AusbZSpezlOp führt im Schwerpunkt die nationale Aus- und Fortbildung für Kräfte des Einsatzverbundes Spezielle Operationen durch. Die Lehrgangsinhalte werden auf der Grundlage der Ausbildungsforderungen des Kommandeurs der Division Spezielle Operationen (DSO) nach Maßgabe des Heeresamtes umgesetzt und ständig weiterentwickelt.

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Abb.1: Lehrgangsteilnehmer lernen die Blutstillung an Schweineläufen


Die internationale Ausbildung wird in der I. Inspektion, der so genannten I. Wing des International Special Training Center (ISTC), in enger Abstimmung mit den neun beteiligten Nationen, Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Italien, Niederlande, Norwegen, Türkei und den USA weiterentwickelt und nach Genehmigung durch die multinational besetzte „Working Group“ in den internationalen Lehrgängen umgesetzt. Das Spektrum der internationalen Lehrgänge gleicht dem der nationalen Verwendungs- und Sonderlehrgänge.
Das Ausbildungsprogramm im nationalen Bereich umfasst im Wesentlichen drei Kategorien:
Verwendungs- und Sonderlehrgänge, Laufbahnlehrgänge und Lehrgänge zur Ausbildung der Spezialisierte Kräfte des Heeres mit erweiterter Grundbefähigung (SpezlKr H EGB) Die Verwendungs- und Sonderlehrgänge umfassen die Bereiche Schießen, Überlebenstechniken und Notverfahren – das schließt insbesondere auch die erweiterte Sanitätsausbildung mit ein -, Einsatzverfahren sowie Planung und Führung von Einsätzen autark operierender Kräfte bzw. Kräften in isolierten Lagen.
Das seit Jahren bekannte, erfolgreiche Lehrgangsangebot wird einsatzorientiert kontinuierlich den aktuellen Anforderungen der Truppe angepasst.
Die Ausbilder der einzelnen Nationen gehören überwiegend den Spezialkräften an und bringen somit einen Erfahrungsschatz in die Ausbildung ein, der unübertroffen ist. Der erste Sanitätslehrgang für Spezialkräfte, der so genannte „Patrol Medic Course“, wurde an der Internationalen Fernspähschule im internationalen Bereich unter wesentlicher Beteiligung von SAS Kräften durchgeführt, die zusammen mit den USA die ersten waren, die Spezialeinsatzkräfte aufgrund ihrer autarken Einsätze zur Durchführung erweiterter sanitätsdienstlicher Maßnahmen befähigten. Seit 1999 wird der Lehrgang „Sanitätsausbildung für Spezialkräfte“ primär für die deutschen Fernspähkräfte und das KSK, heute auch für die spezialisierten Kräfte der DSO, durch den nationalen Anteil der Schule durchgeführt. Im Rahmen der Durchführung dieser Lehrgänge kommen in der Anfangsphase die Erfahrungen und das Wissen der weiteren taktischen Ausbildungen am AusbZSpezlOp und der internationalen Inspektion den Lehrgangsteilnehmern zu Gute und ermöglichen von Beginn an eine hochwertige Ausbildung auf internationalem Standart. Dabei beruht die Ausbildung zum Großteil auf den Richtlinien des Tactical Combat Casualty Care.

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Abb. 2: Ein Fernspätrupp trifft auf Feind und löst sich unter Feuer


Tactical Combat Casualty Care (TCCC) ist eine, 1996 erstmals durch Captain Frank Butler (Mil Med 1996; 161(suppl):1-16) entwickelte präklinische Verwundetenversorgung unter Gefechtsbedingungen. Dabei wird die Versorgung grundsätzlich in 3 Phasen eingeteilt.
Phase „Care under fire“ (sanitätsdienstliche Sofortmaßnahmen unmittelbar unter feindlichem Feuer bzw. im Gefahrenbereich).
Phase „Tactical field care” (sanitätsdienstliche Versorgung des Verwundeten außerhalb des direkten feindlichen Feuers oder Gefahrenbereich).
Phase „Combat casualty evacuation care“ (Versorgung des Verwundeten während des behelfsmäßigen Abtransportes in eine Behandlungseinrichtung). Es existiert ein „Committee on Tactical Combat Casualty Care“, welches alle drei Jahre ein Update herausgibt und in der Military Edition des PHTLS (Prehospital Trauma Life Support) nimmt der TCCC Anteil heute schon neun Kapitel ein. Dieses Committee wird vom USSOCOM und medizinischen Instituten unterstützt und bildet die Grundlage aller medizinischen Maßnahmen auf dem Gefechtsfeld. Der Lehrgang „Sanitätsausbildung für Spezial- und spezialisierte Kräfte“ wird durch die III. Inspektion des AusbZSpezlOp durchgeführt. Da der Schwerpunkt auf der Durchführung von erweiterten sanitätsdienstlichen Maßnahmen unter taktischen Bedingungen liegt und der Teilnehmerkreis ausnahmslos aus „Operators“ besteht, sind die Ausbilder zum großen Teil ebenfalls Angehörige der Fernspäh- oder Fallschirmjägertruppe mit zusätzlicher Rettungssanitäterausbildung. Zusätzlich sind derzeit ein SanFw Rettungsassistent und ein SanStOffzArzt RettMed für die Ausbildung fachlich verantwortlich. Diese erfahren durch ihre Einbindung in die taktische Ausbildung der Spezial- und spezialisierten Kräfte am Ausbildungszentrum, wie zum Beispiel Patrolling, Reaktionsschieß- und Überlebenslehrgänge ihr notwendiges taktisches Wissen und Verständnis. Dies und der Erfahrungsaustausch mit den Soldaten sind entscheidend, um das System des TCCC zu verstehen und um die medizinischen Maßnahmen entsprechend in die taktischen Lagen zu integrieren.
Bei Kampfeinsätzen kann die taktische Auftragserfüllung insbesondere mit der initialen sanitätsdienstlichen Verwundetenversorgung konkurrieren. Denn grundsätzlich kann beim kampfbedingten Anfall von Verwundeten eine optimale medizinische Versorgung vor Ort und zu diesem Zeitpunkt die taktische Lage für den Einsatz negativ beeinflussen und somit die eigenen Soldaten und den Auftrag zusätzlich gefährden. Und es darf eines nicht vergessen werden: Diese Soldaten mit erweiterter sanitätsdienstlicher Ausbildung, so genannte Combat First Responder (CFR), sind und bleiben primär „Operator“ gelegentlich auch als „Shooter“ bezeichnet! In diesem Umfeld bestimmt die taktische Lage die mögliche medizinische Behandlung. Auf diesen Umstand wird in dem Lehrgang intensiv eingegangen und versucht dem Soldaten das notwendige Wissen zu vermitteln. Der Lehrgang dauert 3 Wochen mit insgesamt 170 Stunden und baut sich folgendermaßen auf: Erste Hürde ist das Bestehen des Eingangstest. Sieben Kilometer mit 20 kg Gepäck im Kampfanzug müssen in 52 Minuten geleistet werden. Ziel ist es, die körperliche Verfassung des Lehrgangsteilnehmers zu überprüfen. Er muss in der Lage sein, auch unter hoher körperlicher Belastung, wie sie insbesondere bei taktischen Lagen vorkommt, weiterhin das erlernte Wissen korrekt anwenden zu können. Auf dem Gefechtsfeld gibt es drei primär vermeidbare Todesursachen. Das Verbluten durch Extremitätenverletzungen, die Atemwegsverlegung und der Spannungspneumothorax. Dies sind auch die Schwerpunktthemen des Lehrganges. Blutstillung und Volumengabe, Atemwegssicherung, Entlastung eines Spannungspneumothorax und Analgesie.
Dazu werden in der ersten Woche theoretische Grundlagen gelegt. Schwerpunkte sind Anatomie, Pathophysiologie, Traumatologie und Medikamentenkunde. Hier wird der Fokus ganz klar auf die Traumatologie gesetzt. Einziges „internistisches“ Krankheitsbild ist die Anaphylaxie. Bei der Medikamentenkunde nehmen die Volumenersatzmittel und die Analgetika mit ihren Indikationen, Dosierungen und Nebenwirkungen einen erheblichen Teil ein. Im praktischen Anteil der ersten Woche werden Untersuchungsmethoden, Blutstillung (Tourniquet und Verbände), schienen von Frakturen und die Atemwegssicherung vermittelt.
In der zweiten Woche werden alle einzeln erlernten Untersuchungsmethoden in ein Untersuchungs-/ Behandlungsschema nach dem ABCDE Algorithmus des PHTLS/ATLS gebracht. Dieses Schema, das Initial Assessment, ist die Grundlage und die Basis für den CFR für alle seine weiteren Maßnahmen. Es wird mit verschiedenen Verletzungsmustern im Body-Team unter der Aufsicht eines Ausbilders immer wieder, fast schon drillmäßig, trainiert, so dass das Schema in Fleisch und Blut übergeht, um sich nur noch auf die Verletzungen konzentrieren zu können. Des Weiteren ist in dieser Woche das Erlernen der peripheren Venenpunktion entscheidend. Dieses wird dann in die einzelnen Szenarien im Body-Team mit eingebracht und in den Ablauf der Verwundetenversorgung integriert. Dabei wird darauf geachtet, dass primär alle Basismaßnahmen durchgeführt wurden, bevor der i.v. Zugang gelegt wird. Alle diese Szenarien werden zunehmend schwerer. Von den Verletzungsmustern und durchzuführenden Maßnahmen, wie auch von den Umgebungsbedingungen. Anfangs nur im Feldanzug kommen zusätzlich taktische Ausrüstung, der Wärmeerhalt und die Durchführung aller Maßnahmen bei Nacht mit Lichtdisziplin dazu. Neben der Untersuchung und Identifizierung der Verletzungen, der Blutstillung, der Verbände und dem i.v. Zugang ist die Dokumentation aller Vitalparameter und aller durchgeführten Maßnahmen, insbesondere der Medikamentengabe ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung.

Am Ende der zweiten Woche und in der dritten Woche erfolgt der wichtigste Teil der Ausbildung: Die taktische Verwundetenversorgung, das Tactical Combat Casualty Care, unter Berücksichtigung der europäischen Richtlinien. Nachdem alle Grundlagen gelegt wurden, kommt es nun auf die Versorgung unter extremen Bedingungen an, wie direkter Feindkontakt bei einem Hinterhalt oder bei „Direct Action“, Explosionsverletzungen durch Handgranaten oder IED oder weitere mögliche traumatologische Verletzungen. Der CFR muss nun die best möglichen medizinischen Maßnahmen in die jeweilige taktische Situation integrieren und durchführen. In diesen Kurzszenarien die unter der Anleitung und ständigen Moderation des Ausbilders durchgeführt werden, muss der Lehrgangsteilnehmer alle Maßnahmen in Echtzeit und bei jeder Witterung durchführen. Bekämpfen und Lösen vom Feind, Care under fire, Initial assessment, Blutstillung und Verbände, Lagerung, Wärmeerhalt, Zugang, Medikamentengabe, Dokumentation, „9-line Medevac Request“, Herstellen von Transportbereitschaft und Evakuierung. Diese Szenarien, die meist im Vier-Mann-Trupp durchgeführt werden, bilden den ausschlaggebenden Teil dieser Ausbildung. Jeder muss die verschiedenen Rollen (CFR, Verwundeter, TrpFhr und Funker) einnehmen, um Verständnis für die gesamte Situation und verschiedener Aufgaben zu bekommen und um besser als Team fungieren zu können. Insbesondere der Verwundete erfährt sehr schnell, was falsch gemacht wurde bzw. wie mit ihm umgegangen wird.

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Abb. 5: Tactical Field Care - weitere Versorgung des Verwundeten durch den Combat First Responder ohne direkten Feinddruck

Gerade in diesem Abschnitt der Ausbildung ist es unersetzlich, dass taktisch ausgebildetes truppendienstliches Nichtsanitätspersonal mit erweiterter medizinischer Qualifikation die Ausbildung durchführt. Da in diesen Situationen die medizinischen Maßnahmen nicht primär durch die Verletzung bestimmt werden, sondern durch die taktische Lage. Dabei spielen Feindkontakt, Vermeiden von weiteren Verwundeten, Führerentscheidungen, Auftrag, Umweltfaktoren (Lage, Wetter, Tag/Nacht), lange Evakuierungszeiten und Schwierigkeiten beim Abtransport des Verwundeten durch den Combat First Responder eine entscheidende Rolle bei der Verwundetenversorgung.
Am Ende des Lehrganges steht eine ausführliche Prüfung des Erlernten. Schon in den ersten beiden Wochen wurden zu theoretischen Themen Leistungskontrollen durchgeführt, um einen entsprechenden Wissenstand zu sichern. Zur Abschlussprüfung zählen ein theoretischer Anteil und ein praktischer Anteil. Die praktische Prüfung dauert je nach Lehrgangsteilnehmer zwischen 45 und 60 Minuten und dabei werden alle Maßnahmen wie gewohnt real durchgeführt. Die Durchfallquote des Lehrgangs liegt bei ca. 12 %. Die Soldaten unserer Spezial- und spezialisierten Kräfte sind durch ihre Vorausbildung und Eignung befähigt, einige wichtige sanitätsdienstliche Maßnahmen zu erlernen und sicher nach bestimmten Algorithmen in extremen Situationen anzuwenden. Es ist unerlässlich, solche CFR auszubilden, um eine effektive und sinnvolle Verwundetenversorgung vor Ort bis zur Übergabe an qualifiziertes Sanitätspersonal zu gewährleisten. Denn Versorgung von Verwundeten nach den Grundsätzen des Tactical Combat Casualty Care ist international ein anerkanntes fachdienstliches Konzept und stellt eine „feste Größe“ für die taktische Verwundetenversorgung durch Nichtsanitätspersonal und Sanitätspersonal auf dem Gefechtsfeld dar.

Datum: 30.06.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

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